Hat sich die internationale Gerichtsbarkeit von der internationalen Machtpolitik entfremdet?

Europäische Länder müssen eine besser koordinierte Politik im Bereich der Justiz und der Prävention entwickeln

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In dieser Woche wurde Kenias Präsident Uhuru Kenyatta zum ersten amtierenden Staatsoberhaupt, das vor den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) tritt. Er muss sich einer Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen. Der Fall in Den Haag – der aufgrund von Behauptungen, dass die kenianische Regierung Beweise zurückhält, in sich zusammenbrechen könnte – wird die Grenzen der internationalen Gerichtsbarkeit testen. Währenddessen scheinen die Gräueltaten, die offensichtlich in Syrien vom Assad-Regime und von Rebellengruppen wie dem Islamischen Staat begangen werden, außerhalb der Reichweite des IStGH, nachdem Russland und China im UN Sicherheitsrat gegen eine Resolution, die dem Gerichtshof  Zuständigkeit übertragen hätte, gestimmt haben.

Haben sich die Ideale internationaler Gerichtsbarkeit von den Realitäten globaler Machtpolitik entfremdet? Inwieweit ist die Bemühung Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen mit den schwierigen Kompromissen vereinbar, die vonnöten sind um Konflikte zu beenden? Wie können europäische Länder die beiden Ziele der Beendigung von Gräueltaten und des Strebens nach Gerechtigkeit am besten verfolgen? Diese Fragen untersucht Anthony Dworkin in einem neuen ECFR Papier, „International Justice and the Prevention of Atrocities“.

Der Bericht argumentiert, dass europäische Länder eine besser koordinierte Politik im Bereich der Justiz und der Prävention entwickeln müssen. Zu oft werden juristische Entscheidungen  getrennt von allgemeineren Zielen der Außenpolitik getroffen. Damit riskiert man Gerichte in eine Position zu bringen, in der sie eine Behinderung für den Frieden darstellen könnten oder in der sie sich isolieren, weil Länder ihre Arbeit in der Praxis nicht unterstützen.

Folgende Empfehlungen werden formuliert:

  • Staaten sollten den Gebrauch von Gerichtsbarkeit als Instrument zum Einwirken auf die Dynamiken eines Konfliktes vermeiden.
  • Der UN Sicherheitsrat sollte Situationen nur in außergewöhnlichen Fällen an den IStGH weiterleiten und nur wenn er sich sicher ist, dass die UN später nicht politische Initiativen befürwortet, die die Anforderungen des Gerichtshofes ignorieren.
  • Staaten sollten sich vor der Idee in Acht nehmen, dass Anrufungen des IStGH nicht immer seiner Glaubwürdigkeit dienen.
  • Staaten sollten der Sicherstellung von Friedensabkommen mehr Aufmerksamkeit widmen, die Platz für nachträgliche Verantwortlichkeit und eine zukünftige Ausweitung der Rechtsstaatlichkeit lassen, auch dadurch, dass mutmaßliche Kriegsverbrecher von der Macht ausgeschlossen werden.

Anthony Dworkin: “European countries are right to support the principle of accountability, but they risk harming the cause both of justice and peace if they do not coordinate their policies more effectively. There is no use expecting courts to build the global rule of law if their efforts go beyond what countries are willing to support in their broader foreign policy.”

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.