Krisen und Zusammenhalt in der EU: Die 10-Jahres-Perspektive

Der EU Cohesion Monitor zeigt, wie sich Finanz- und Flüchtlingskrise auf den Zusammenhalt der 28 Mitgliedstaaten auswirken

Publication cover

Policy recommendations

  • Der EU Cohesion Monitor beruht auf Daten aus allen 28 Mitglied- staaten, die Aufschluss über das Maß des Zusammenhalts unter den Europäern geben. Gegen den Tenor der öffentlichen Wahrnehmung zei- gen sie, dass Zusammenhalt zwischen 2007 und 2017 nicht gesunken, sondern gewachsen ist.
  • Der Monitor unterscheidet zwei Arten von Zusammenhalt: strukturel- len Zusammenhalt, in dem die Bindungen und Bezüge unter den Mit- gliedstaaten erfasst werden; und individuellen Zusammenhalt, in den Engagement, Erfahrung und die Einstellung von Bürgern eingehen. Die Daten zeigen eine erhebliche Zunahme an strukturellem Zusam- menhalt in Ostmitteleuropa, während der individuelle Zusammenhalt in den meisten nördlichen EU Staaten zugenommen hat. Demge- genüber sind in einigen anderen Staaten, darunter Frankreich, Italien und Spanien, die Werte im individuellen wie im strukturellen Zusam- menhalt gesunken.
  • Die negativen Auswirkungen der Finanzkrise und der Flüchtlingskrise zeigen sich vor allem im Indikator Engagement. Zusammen mit sink- enden Werten im Indikator Resilience spiegelt sich in diesem Trend die noch immer prägende politische Kluft zwischen Ost und West.
  • Strategien für besseren Zusammenhalt müssen stärker auf die beson- dere Lage einzelner Staaten zugeschnitten werden. Politische Akteure, Institutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen sollten den Fokus auf die Verbesserung des individuellen Zusammenhalts legen, indem sie Bürgerinnen und Bürger darin unterstützen, mit Menschen aus anderen Staaten der EU zusammen zu kommen.

Introduction

Kohäsion ist der Kitt der Europa zusammenhält. Zusam­menhalt ist die Summe der Faktoren, die die Bereitschaft der Europäer steigert, mit anderen zusammen zu arbeiten. Dazu gehören sowohl wirtschaftliche und politische Ver­flechtung, die Erfahrungen und Praxis von Regierungen und Eliten in der Zusammenarbeit untereinander, als auch die Fähigkeiten, Erfahrungen und Einstellungen der Bürge­rinnen und Bürger. Als eine Institution, die Entscheidun­gen auf der Basis von Zusammenarbeit und Konsens trifft, ist die Europäische Union auf den Zusammenhalt seiner Bürger wie seiner Mitgliedstaaten angewiesen, um effektiv Politik betreiben zu können. Diese Analyse misst die Stärke des Zusammenhalts in der EU zwischen 2007 und 2017. Sie ermittelt die Bereiche, in denen mangelnder Zusammenhalt die Entscheidungs-­ und Handlungsfähigkeit europäischer Politik gefährdet oder untergraben hat. In einer Zeit, in der nationalistische und populistische Strömungen wachsen, sind europäische Entscheidungs­- und Handlungsfähigkeit besonders erforderlich. Diese neuen politischen Bewegun­gen richten sich gegen transnationale Zusammenarbeit und fordern die Rückübertragung supranationaler Kompeten­zen weg von der EU auf die Ebene der Staaten.

Der EU Cohesion Monitor unterscheidet 32 Faktoren, die den Zusammenhalt zwischen Individuen und Staaten beschreiben und aggregiert diese in zehn Indikatoren für jeden der 28 Mitgliedstaaten.[1] Wir bezeichnen sechs dieser Indikatoren als „strukturell“, denn sie erfassen die Verflechtung unter den Staaten auf der Makroebene. Dazu gehö­ren: Resilience, Economic Ties, Funding, Neighborhood, Policy Integration und Security. Vier der zehn Indikatoren bezeichnen wir als „individuell“, denn sie haben mit zwi­schenmenschlichen Bezügen zu tun. Dazu zählen Experi­ence, Engagement, Attitudes, und Approval.

Der Wert jedes einzelnen Indikators fasst die Ausprägung einer Reihe von Faktoren zusammen. So erfassen beispiels­weise strukturelle Indikatoren wie Resilience, Economic Ties und Funding Faktoren wie das Verhältnis von Verschuldung und Sozialprodukt, EU­ Handelsströme oder Finanzflüsse aus dem EU ­Budget. Neighbourhood, Policy Integration und Security enthalten Faktoren wie etwa die Nähe zu Staa­ten außerhalb der EU, Nichtbeteiligung an bestimmten Poli­tikbereichen, oder die Beteiligung an EU Militäreinsätzen. Indikatoren wie Experience und Engagement im Bereich des individuellen Zusammenhalts bündeln Faktoren wie den Austausch von Bürgern mit Menschen aus anderen EU Staa­ten oder den Stimmenanteil populistischer Parteien bei Wah­len. In den Indikatoren Attitudes und Approval dagegen bün­deln wir die Wahrnehmung der EU, bzw. die Zustimmung zu den Leistungen von Integration. Eine vollständige Übersicht der zehn Indikatoren und der in ihnen gebündelten Faktoren enthält die nebenstehende Abbildung.

Anhand der Ausprägung dieser Faktoren in den 28 EU­ Mit­gliedstaaten untersucht die Studie, wie schwerwiegende Krisen – so wie die Finanzkrise ab 2008 oder die Flücht­lingskrise seit 2015 – den Zusammenhalt in Europa verän­dert haben. Die politische Europadebatte hat sich infolge dieser Krisen dramatisch verändert: Der Blick politischer Parteien auf die europäische Integration hat sich verändert. Daneben sind in vielen EU ­Staaten völlig neue Parteien entstanden. Der Druck nationalistischer und populistischer Parteien von den Rändern des politischen Spektrums zeigt in der gesamten EU Wirkung – ablesbar etwa an den massiven Veränderungen im Indikator Engagement. Das Ver­ständnis von internationaler Zusammenarbeit in diesen Parteien als der freiwilligen Kooperation souveräner Staaten spiegelt die Auffassung in Regierungen wie der russischen, chinesischen, und inzwischen auch der amerikanischen, aber es ist nicht vereinbar mit der die EU prägenden Form strukturierter Zusammenarbeit.[2] Sichtbarster Ausdruck der Macht dieser integrationsgefährdenden Strömungen ist wohl die britische Entscheidung zum Austritt aus der EU.

Unsere Analyse zeigt, ob und wie sich die verschiedenen Faktoren von Zusammenhalt in den Zeiten der Krise verän­dert haben. Indem wir zeigen, wo und in welchen Bereichen Zusammenhalt in den 28 Mitgliedstaaten gewonnen oder verloren wurde, will diese Studie europäische Akteure, Ins­titutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrem Anliegen unterstützen, den inneren Zusammenhalt der EU zu stärken und ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern.

Dies ist umso wichtiger, als die populistische Heraus­forderung des Zusammenhalts in der EU nicht leicht zu widerlegen ist, denn sie bezieht sich nicht primär auf die Ergebnisse europäischer Politik oder auf soziale Verlu­stängste. Ohne Zweifel spielen Verteilungskonflikte eine wichtige Rolle in der Argumentation von Populisten, doch scheint Identität das weitaus stärkere Narrativ zu sein, die Politisierung des „wir“ gegen die „anderen“, seien es Regie­rungen oder Bevölkerungen anderer Länder oder von nie­mandem gewählte europäische Technokraten, die Entschei­dungen über „uns“, „unser Land“ und „unser Geld“ treffen. In dieser Erzählung liegt das Kernproblem in der Bündelung von nationaler Souveränität, denn Souveränität verhindert den Eingriff Dritter in die eigenen Entscheidungen. Vertei­lungskonflikte können mit Geld gelöst werden, Identitäts­konflikte nicht. Identitäre Politik entzieht sich dem üblichen Kosten­ Nutzen ­Kalkül. Die möglichen Kosten und befürch­teten Wohlstandsverluste von Renationalisierung halten deren Befürworter nicht auf in ihrem Kampf gegen das europäische Integrationsprojekt, denn sie sind überzeugt, dass die Vorteile nationaler Autonomie auf längere Sicht die kurzfristigen Kosten des Abstreifens internationaler Regeln, gemeinsamer Ressourcennutzung und wirtschaftlicher Ver­flechtung überwiegen.

Wie kann und wird sich europäische Integration gegen die­ses nationale und souveränistische Argument behaupten? Sind die Leistungen der Integration den Bürgerinnen und Bürgern der EU die enge Einbindung in einen gemeinsa­men Rechts­- und Handlungsrahmen noch wert? Gibt es Anzeichen für eine Balance zwischen Fliehkräften und Bindewirkungen in der EU? Auf diese Fragen will die neue Ausgabe des EU Cohesion Monitor antworten und mit den jüngsten, zum Herbst 2017 verfügbaren Daten, Material zu einer Beantwortung bereitstellen. Der neue Monitor ergänzt die erste, 2016 erschienen, Ausgabe, in der wir den Sie­benjahreszeitraum seit Ausbruch der Finanzkrise analy­siert haben. Die aktuelle Ausgabe nutzt dieselbe Systematik von sechs Indikatoren für den strukturellen Zusammen­ halt und vier Indikatoren für den individuellen Zusam­menhalt als die zwei Dimensionen von Zusammenhalt, die den Standort jedes EU ­Mitgliedstaats in der Matrix des Monitors bestimmen. Damit erlaubt die neue Studie den Vergleich über die gesamte Periode seit 2007 für jeden Staat, ebenso wie den Vergleich der Staaten untereinander.

Die Auswahl der Indikatoren soll eine ausgewogene Mischung von Aspekten ergeben, die sowohl für Eliten wie für die allgemeine Öffentlichkeit nachvollziehbar sind. Dies ist für jeden der ausgewählten Faktoren zu prüfen. So neh­men viele Bürger Handelsströme und Finanzflüsse nicht abstrakt wahr, sondern in ihren Wirkungen auf den nati­onalen Arbeitsmarkt oder die Kofinanzierungsbeschilde­rung von Bauprojekten. Dennoch werden ihnen einige der anderen Indikatoren von Verflechtung weniger einleuch­tend nachvollziehbar sein als politischen und wirtschaftli­chen Eliten, die im Alltag mit diesen Themen zu tun haben. Um die Elitenperspektive nicht überzubewerten, stellt die Dimension individueller Kohäsion völlig auf die Erfahrun­gen, Handlungen und Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger ab. In dieser Kombination bildet der EU Cohesion Monitor Zusammenhalt sowohl in Bezug auf die gesamt­ staatliche und gesamtwirtschaftliche Lage, als auch in Bezug auf die individuellen Befindlichkeiten ab.

Methodik

Der EU Cohesion Monitor ist ein Index. Er basiert auf der gleichen Datenbasis für alle EU-Mitgliedstaaten und überträgt die Daten auf eine Skala von 1-10 Punkten. Er erlaubt damit den direkten Vergleich zwischen den Staaten. Die Ergebnisse werden in einer Matrix dargestellt, deren Achsen die beiden Dimensionen der Erhebung bilden: Zusammenhalt auf der Mikroebene, der Ebene der individuellen Erfahrungen, Einstellungen und Entscheidungen der Europäer, sowie Zusammenhalt auf der Makroebene, der strukturellen Faktoren von Interaktion und Verflechtung zwischen Staaten. Weiter Darstellungen sind Rangtabellen und Trendübersichten sowie Länderprofile für alle 28 EU-Staaten. Alle Datenquellen, Transkriptions- und Gewichtungsregeln sowie die einzelnen wie aggregierten Scores sind veröffentlicht und stehen neben dem interaktiven Monitor selbst kostenlos zum Download bereit.

Wir verwenden den Begriff Kohäsion oder Zusammenhalt im soziologischen Sinne als der Bereitschaft von Individuen und sozialen Gruppen zur Zusammenarbeit. Der EU Cohesion Monitor befasst sich mit europäischem Zusammenhalt, verstanden als die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger der EU sowie ihrer Regierungen zur Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Die Europäische Union steht im Mittelpunkt unserer Analyse, denn wir sehen sie als den wesentlichen Träger der Zusammenarbeit in Europa.

Die Auswahl der Daten basiert auf der Annahme, dass Interdependenz und Interaktion sowie positive Erfahrungen aus Zusammenarbeit den europäischen Zusammenhalt stärken. Wir gehen davon aus, dass der Zusammenhalt umso größer ist, je stärker derartige Faktoren ausgeprägt sind. Faktoren auf der Makroebene betreffen Wirtschaft und Staat insgesamt (wie die Handelsverflechtung oder sicherheitspolitische Kooperation), während Faktoren auf der Mikroebene mit den Menschen direkt zu tun haben (wie etwa die Dichte zwischenmenschlicher Begegnungen oder die Einstellungen zur europäischen Integration). 32 dieser Faktoren bündeln wir in zehn Indikatoren, sechs auf der Makroebene strukturellen Zusammenhalts, und vier auf der Mikroebene individuellen Zusammenhalts. Sämtliche Daten stammen aus öffentlich zugänglichen Quellen, von statistischen Ämtern, aus Repräsentativbefragungen oder anderes Indizes, und liegen für alle EU-Staaten vor.

Zur Vergleichbarkeit der Indikatoren rechnen wir alle Faktordaten in Werte auf eine Skala von 1 bis 10 Punkten um. Für jeden Faktor haben wir Umrechnungsregeln und Schwellwerte definiert. Indizes auf multifaktorieller Grundlage erfordern daneben Regeln für die Gewichtung einzelner Faktoren und Indikatoren. Wir gewichten alle Faktoren gleich, was auch bedeutet, dass  für Indikatoren, die beispielsweise auf drei Faktoren beruhen, jeder der Faktoren zu einem Drittel in den Indikatorwert eingeht. Die Faktoren zum Indikator Experience sind eine Ausnahme zu dieser Regel. Hier wird der Anteil an EU-Ausländern an der Gesamtbevölkerung mit 50% und die übrigen drei, umfragebasierten, Faktoren zusammen als 50% gewertet. Ferner gewichten wir alle Indikatoren gleich, so dass beispielsweise jeder der sechs strukturellen Indikatoren zu einem Sechstel in den Gesamtwert für den strukturellen Zusammenhalt eines Landes eingeht. Für den individuellen Zusammenhalt und dessen vier Indikatoren gilt entsprechend, dass jeder zu einem Viertel in den Gesamtwert eingeht. Alle Skalierungs- und Gewichtungsregeln sind ebenfalls öffentlich zugänglich, ebenso wie die Tabellen mit den Rohdaten und umgerechneten Werten.

Das „Bilderbuch“ des Monitors — ein interaktiver Datenatlas im PDF-Dateiformat — vermittelt einen visuellen Eindruck der Ergebnisse; es ordnet und veranschaulicht die Daten, versteckt sie aber nicht hinter Grafiken. Die Visualisierung soll den Vergleich zwischen Staaten bzw. Gesellschaften erlauben und Veränderungen auf der Zeitachse sichtbar machen. Dazu verwenden wir verschiedene Formen der visuellen Datenaufbereitung:

  • Eine Vier-Felder-Matrix: ein Koordinatensystem mit den zwei Achsen individuellen und strukturellen Zusammenhalts und den Werten der dazugehörigen Zehnerskala. In diesem Zusammenhaltsraum erhält jedes Land für jedes Untersuchungs- jahr einen Platz entsprechend seiner individuellen und strukturellen Zusammenhalts-Koordinaten. Dies macht die absolute wie relative Position der 28 Mitgliedstaaten sichtbar und veranschaulicht Bewegungsrichtungen sowie verschiedene Ausprägungen von Zusammenhalt.
  • Länder-Radarbilder: sie zeigen auf einen Blick die Ausprägung der 10 Indikatoren in einem bestimmten Land und erlauben den Vergleich über Zeit sowie zum Durchschnitt der EU.
  • Rangtabellen und Trendkarten: sie vermitteln ein tieferes Verständnis der relativen Position von Staaten im Vergleich untereinander und von der Entwicklungsdynamik einzelner Indikatoren.

 

Zerfallende Muster: Europäischer Zusammen­ halt im Wandel

Die Entwicklungen des zurückliegenden Jahrzehnts haben die Landkarte des Zusammenhalts in Europa nachhaltig verändert. Veränderungen auf struktureller Ebene, wichtige Faktoren in der Entwicklung von Kooperationsbereitschaft, haben die Staaten in unterschiedliche Richtungen gescho­ben. Auf der individuellen Ebene haben Krisen ihre Spuren in den Einstellungen der Menschen und ihrer Bereitschaft zu gemeinsamem Handeln in der EU hinterlassen. In man­cherlei Hinsicht und einigen Räumen der EU ist Zusammenhalt gewachsen, in anderen Kontexten und für andere­ Staaten ist Zusammenhalt geschwunden. Die augenschein­lichste Veränderung in der Matrixdarstellung von indivi­dueller und struktureller Kohäsion liegt in der heutigen Unterschiedlichkeit der EU­ Staaten. Im Jahr 2007 lagen die meisten Mitgliedstaaten in einer Zone um den Mittelwert von 5,5 auf beiden Achsen — zehn Jahre später streuen  sie über nahezu das gesamte Feld. Trotz dieses Auseinan­derfallens hat das Niveau des Zusammenhalts insgesamt leicht zugenommen. Der Median für beide Dimensionen des Zusammenhalts, der die Staaten darüber und darunter in gleich große Gruppen teilt, liegt 2017 leicht höher als 2007, um 0,15 Punkte im Bereich individuellen Zusammenhalts, und um 0,22 Punkte für strukturellen Zusammenhalt.

Im Jahr 2007 befanden sich acht Staaten im linken unteren Viertel der Matrixdarstellung, das für schwachen Zusam­menhalt in beiden Dimensionen steht — 2017 sind es nur vier. Die acht Staaten kamen 2007 neben Großbritannien aus dem Kreis der neuen östlichen Mitgliedstaaten; 2017 setzt sich die Vierergruppe anders zusammen: Neben Groß­britannien befinden sich heute Italien, Frankreich und Grie­chenland im unteren linken Viertel. Im gleichen Zeitraum wuchs der Kreis der Staaten im rechten unteren Viertel, das für niedrigen individuellen bei gleichzeitig hohem struktu­rellen Zusammenhalt steht, von einem Staat, Lettland, auf fünf Staaten: Polen, Ungarn und die Tschechische Repu­blik, also die Visegrád-Gruppe ohne die Slowakei, sowie Rumänien und Bulgarien. Für diese Staaten liegt das Niveau strukturellen Zusammenhalts deutlich über dem EU ­Durch­schnitt. Das des individuellen Zusammenhalts liegt dar­unter, im Fall der drei Visegrád-Staaten sogar erheblich. Die Anzahl der Staaten in den beiden oberen Vierteln der Matrixdarstellung blieb nahezu gleich, doch ihre Verteilung auf die beiden Quadranten mit hohen Werten individuellen Zusammenhalts hat sich deutlich verändert. 2007 befanden sich fünf Staaten im oberen rechten Viertel, das für hohen strukturellen wie individuellen Zusammenhalt steht: die Benelux­ Staaten, Österreich und Litauen. 2017 sind von den westlichen EU­ Staaten nur Belgien und Luxemburg geblieben; dafür befinden sich nun auch alle drei baltischen Staaten, Slowenien und die Slowakei auf diesem Niveau.

In der Gesamtschau der Ergebnisse zeigen sich zwei Schei­delinien des Zusammenhalts in der EU, die zugleich auch Konfliktlinien der Europapolitik spiegeln. Im Blick auf die strukturellen Faktoren europäischen Zusammenhalts zeigen die Daten eine Kluft zwischen Ost und West. Mit Ausnahme von Zypern und Österreich weisen alle EU ­Staaten öst­lich von Deutschland 2017 höhere Werte an strukturellem Zusammenhalt auf als 2007. Dagegen haben von Dänemark bis Italien die westlich von Deutschland liegenden Staaten an strukturellem Zusammenhalt verloren. Den stärksten Anstieg an strukturellem Zusammenhalt verzeichnen (in absteigender Folge) Ungarn, Rumänien, Polen, Slowakei, Lettland, auf demselben Niveau Litauen und Bulgarien, gefolgt von Malta und Estland. Im Ergebnis hat die Ent­wicklung dieser Staaten die Kluft zwischen Ost und West geschlossen, die 2007 noch deutlich sichtbar war. Damals befanden sich die ostmitteleuropäischen Staaten nahe oder innerhalb der linken Hälfte der Matrix, die für niedrigen strukturellen Zusammenhalt steht. Ein Jahrzehnt später finden sie sich allesamt im Bereich rechts der Mitte, mit relativ hohen strukturellen Werten, aber noch immer mit eher niedrigen oder sehr niedrigen Werten für individuellen Zusammenhalt.

Bedeutsam ist auch der Verlust an strukturellem Zusam­menhalt im Westen der EU (Grafik Seite 5). Diejenigen Fak­toren, die das Wachstum struktureller Kohäsion im Osten getragen haben — wie die Finanzflüsse aus dem EU ­Haus­halt, die zunehmende Integration in den Binnenmarkt oder der Beitritt zu Kernbereichen der Integration wie der Wäh­rungsunion oder dem Schengen ­Raum — haben sich im Westen seit 2007 kaum verändert. Die zusammenhaltsför­dernde Wirkung dieser Faktoren ist im Westen längst kon­sumiert und trägt dort kaum zu wachsender Kohäsion bei. Vielmehr hat die Finanz­- und Schuldenkrise die Resilienz und die wirtschaftliche Entwicklung geschwächt und damit zugleich auch die Ko­Finanzierung von Investitionen durch die EU vermindert. Den so erzeugten Rückgang strukturel­len Zusammenhalts zeigt der Monitor in absteigender Folge vor allem für folgende sechs Staaten: Niederlande, Italien, Spanien, Großbritannien und Portugal. Da auch Frankreich einen Rückgang an strukturellem Zusammenhalt aufweist, bewegen sich vier der sechs großen EU­ Staaten in die ent­gegengesetzte Richtung zum Osten der EU. Deutschlands Position bleibt unverändert, Polens struktureller Zusam­menhalt wuchs deutlich.

Die andere große Scheidelinie verläuft im Bereich individu­ellen Zusammenhalts, diesmal zwischen Norden und Süden (Grafik Seite 6). Europas Süden hat über die zurückliegen­ den zehn Jahre erheblich an individuellem Zusammenhalt eingebüßt, am stärksten in Griechenland und Italien, aber auch in Frankreich und Spanien. Bedeutsam an dieser Kluft ist, dass damit drei der großen EU­ Staaten in beiden Dimen­sionen des Zusammenhalts verloren haben. Dies gilt vor allem für Italien, wo der kombinierte Rückgang von insge­samt 1,7 Punkten größer ausfällt als irgendwo sonst in der EU — und dies in einem Land, das über viele Jahre zu den integrationsfreundlichsten Mitgliedstaaten zählte.

Im Gesamtbild des Nord­ Süd­ Gegensatzes zeigen sich auch zwei gegenläufige Trends: Zum einen zeigt sich die indivi­duelle Zusammenhaltsschwäche nicht überall im Süden, wo die Finanz­ und Schuldenkrise besonders gravierend gewirkt hat. Wie Irland nördlich der Scheidelinie hat auch Portugal unter den Folgen der  Finanzkrise gelitten, wie in Irland sind die Werte für individuellen Zusammenhalt seit 2007 gestiegen und nicht wie anderenorts gesunken.  In beiden Ländern hat die Bewältigung der Krise dieses Wachstum anscheinend begünstigt. Zwar zeigt sich bereits zwischen 2007 und 2014 mit +0,1 Punkten ein schwach positiver Trend, der in den Folgejahren bis 2017 dann mit Zuwächsen von 0,6 Punkten in Irland und 0,5 Punkten in Portugal deutlich zulegt. Zum anderen finden sich Gegen­beispiele für den Nord ­Süd­ Gegensatz auch im Norden. So haben Polen und Ungarn im zurückliegenden Jahrzehnt mit jeweils ­0,4 Punkten beinahe so viel an individuellem Zusammenhalt verloren wie Frankreich (­0,5 Punkte). In diesen beiden Ländern ist Zusammenhalt auf Ebene der Menschen verloren gegangen, während sie zugleich erheb­lich an struktureller Kohäsion gewonnen haben. Während der Rückgang in Ungarn vor 2014 stattfand, hat er sich in Polen vor allem seit 2014 vollzogen.

 Der Blick auf die Gesamtergebnisse hat bereits Strukturen erkennen lassen, wie etwa die strukturellen Zuwächse im Osten oder die doppelte Zusammenhaltsschwäche im Süd­ westen. In den Daten zeigen sich weitere relevante Muster. So haben die sechs Gründerstaaten die Nähe eingebüßt, die sie noch vor Ausbruch der Finanzkrise aufwiesen. 2007 lagen sie auf der Landkarte des Zusammenhalts noch recht nah beieinander — nur Luxemburg war den anderen in beiden Dimensionen des Zusammenhalts weit voraus. Die Krisen und Entwicklungen des Jahrzehnts bis 2017 haben dieses Muster aufgelöst. Italien und Frankreich sind in das linke untere Viertel insgesamt schwachen Zusammenhalts abge­wandert, während Belgien und Luxemburg einiges und die Niederlande viel an struktureller Kohäsion verloren haben. Dafür hat der individuelle Zusammenhalt in allen drei Bene­lux ­Staaten wie auch in Deutschland zugenommen. Im Ergebnis haben sich die Gründerstaaten in nahezu entgegen­ gesetzte Richtungen auseinander entwickelt; Italien befindet sich auf der Landkarte der Zusammenhaltsmatrix nun in Nachbarschaft zu Großbritannien. Belgien und die Nieder­lande haben sich Deutschland angenähert.

 

 

Weitet man den Blick von den Benelux­ Staaten auf die Gruppe der „reichen Kleineren“ in der EU (auf Englisch „Affluent Seven“ genannt, zu denen neben den Bene­lux ­Staaten die drei nordischen EU­ Staaten und Österreich gehören), erkennt man ein weiteres Muster. In allen sieben dieser hoch entwickelten und wohlhabenden Staaten steigt das Maß individuellen Zusammenhalts – am sichtbars­ten mit +0,9 Punkten in Schweden, am geringsten mit 0,1 Punkten in Dänemark. Mit Ausnahme Schwedens wächst der strukturelle Zusammenhalt nicht, doch das individuelle Niveau liegt im Ergebnis der letzten zehn Jahre für alle sieben Staaten deutlich oberhalb des Mittelwerts von 5,5 Punkten.

Die Visegrád­-Staaten, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei, die europapolitisch in den letzten Jahren vor allem als Veto­Koalition in Erscheinung getre­ten sind, weisen in ihren Zusammenhaltsprofilen ebenfalls eine hohe Gemeinsamkeit auf. In allen vier Staaten ist der strukturelle Zusammenhalt stark gewachsen bei stagnie­renden Werten für individuelle Kohäsion. Einzig die Slo­wakei durchbricht den Trend; hier stagniert der individu­elle Zusammenhalt auf deutlich höherem Niveau als in den drei anderen Visegrád-Staaten. Bemerkenswert erscheint schließlich, dass Ungarn, der lauteste unter den Veto ­Ak­teuren, zugleich dasjenige Land ist, in dem der Indikator Funding seit 2007 stärker gewachsen ist als in jedem ande­ren EU­ Staat — ein Beleg dafür, dass Finanzflüsse allein den Willen zur Zusammenarbeit nicht hinreichend stärken.

Länderprofile

 

Belgien

Zwischen 2007 und 2017 ist Belgien um einen Platz auf den dritten Rang im Bereich individuellen Zusammenhalts und um fünf Plätze auf Rang 7 im Bereich strukturellen Zusammenhalts gefallen. Auf den ersten Blick haben weder die Finanzkrise noch die Flüchtlingskrise einen deutlichen Abdruck im Kohäsionsprofil des Landes hinterlassen. Für einzelne Indikatoren zeigen sich dagegen markante Abwei­chungen: Auf der strukturellen Seite sind die Indikatoren Resilience, Security und Economic Ties gefallen. Im Bereich individuellen Zusammenhalts fallen die Abweichungen noch deutlicher aus: Die handlungs­- und erfahrungsgetra­genen Indikatoren und zu Zustimmung zu den Ergebnissen von Integration steigen, während die Einstellungen der Bel­gier zur EU allgemein kritischer ausfallen.

Bulgarien

Beide Dimensionen des Zusammenhalts waren 2007 schwach ausgeprägt in Bulgarien. In den folgenden zehn Jahren ist der Struktur der Zusammenhalt jedoch stark angestiegen. Bulgarien verbessert sich vom 16. auf den 8. Platz im Ranking strukturellen Zusammenhalts, im wesent­lichen aufgrund der massiven Mittelzuflüsse aus dem EU­ Haushalt. Über den gleichen Zeitraum hat dagegen die Wirtschaftsverflechtung des Landes mit der übrigen europäischen Union erheblich abgenommen. Das Maß indi­viduellen Zusammenhalts ist in Bulgarien auf vergleichs­weise geringem Niveau stehen geblieben; im Ranking ist das Land vom 21. Auf den 20. Platz gestiegen. Die Erfahrungen der Bulgaren mit Europa liegen auf einem der niedrigsten Niveaus unter allen EU Staaten, vergleichbar zu den Ergeb­nissen für Rumänien und Ungarn. Das größte Wachstum­spotenzial für Zusammenhalt sehen wir für Bulgarien in der Verbesserung struktureller Indikatoren vor allem in den Bereichen Sicherheit, Handel und Investitionen sowie in der Mitwirkung an allen Feldern der Integration.

Dänemark

Im Unterschied zum EU ­Zusammenhalt der anderen beiden skandinavischen Mitgliedstaaten, die strukturell stagnieren aber individuell wachsen, ist in Dänemark der strukturelle Zusammenhalt zwischen 2007 und 2017 gesunken, wäh­rend individueller Zusammenhalt nur schwach gewach­sen ist. Der Rückgang beruht vor allem auf nachlassender Dichte der wirtschaftlichen Verflechtung Dänemarks mit der EU und auf der dänischen Neigung zum Opt­out aus Teilbereichen der Integration. Die leichte Zunahme indivi­duellen Zusammenhalts in Dänemark beruht hauptsächlich auf höheren Werten im Bereich der Erfahrungen allgemei­nen Einstellungen der Dänen bei gleichzeitig sinkenden Werten für den Indikator Engagement, der das Wahlverhal­ten der Bürger misst. In den Rangtabellen des EU Cohesion Monitor hält Dänemark zwischen 2007 und 2017 den 24. Platz im Bereich strukturellen Zusammenhalts, und fällt bei individuellem Zusammenhalt um drei Plätze auf Rang 15. 

Deutschland

Betrachtet man Deutschland und Frankreich in den Radar­bildern des EU Cohesion Monitor, so zeigt der Umriss bei der Länder deutliche Parallelen — allerdings liegen die Werte für Deutschland in der Regel über denen Frankreichs. Mit Ausnahme der Indikatoren Funding, Economic Ties und Neighbourhood liegen die Werte für Deutschland stets deut­lich höher über dem EU ­Durchschnitt. Unter allen zehn Indikatoren des Monitors weisen nur Economic Ties und Engagement 2017 niedrigere Werte auf als 2007, im erst­ genannten Indikator aufgrund der deutlichen Zunahme der Wirtschaftsverflechtung mit außereuropäischen Märkten, im letztgenannten aufgrund der Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in den Europa­ und Bundestagswahlen. Insgesamt gesehen hat sich der individuelle Zusammenhalt in Deutschland verbessert, während das Maß strukturellen Zusammenhalts ungefähr gleich geblieben ist – ein Trend der dem von Finnland entspricht. In Relationen zu ande­ren europäischen Staaten stellt sich der Trend anders dar. Deutschland verbessert sich um einen Platz auf den 5. Rang im Bereich der individuellen Kohäsion, fällt jedoch vom 8. auf den 13. Platz im Bereich struktureller Kohäsion.

Estland

Bis auf die Indikatoren Experience und Security hat Est­land 2017 den EU­ Durchschnitt des Zusammenhalts in allen Bereichen erreicht oder übertroffen. In den zehn Jahren seit 2007 hat sich das Land vom oberen linken Quadran­ten in den oberen rechten Quadranten der Matrix des EU Cohesion Monitor bewegt, das heißt die Werte für indivi­duellen Zusammenhalt liegen konstant in der oberen Hälfte der Skala. Die Zunahme auf der individuellen wie struk­turellen Ebene ist in Estland ungefähr gleich ausgeprägt – ein Merkmal, dass die Esten mit ihren beiden anderen baltischen Nachbarn teilen. Damit unterscheiden sie sich zugleich deutlich von den Staaten der Visegrád­-Gruppe, denn dort haben die Faktoren struktureller Zusammen­halt erheblich stärker zugenommen als die individuellen Werte. Die Veränderung des Zusammenhalts in Estland zeigt sich auch in Relationen zu anderen Staaten: im Bereich strukturellen Zusammenhalts ist es dann vom 14. auf den 8. Platz geklettert und vom 10. auf den 8. Platz im Ranking des individuellen Zusammenhalts. Wachstumspotenzial für den Zusammenhalt in Estland liegt vor allem in den Bereichen, in denen das Land der Zeit schwach abschneidet: die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits­- und Verteidi­gungspolitik sowie bei den individuellen Erfahrungen der Menschen im Umgang mit anderen Europäern.

Finnland

Auf den ersten Blick sieht das Zusammenhaltsprofil Finn­lands über die Zeit stabil aus: Im Jahr 2017 ist das Maß an individuellem Zusammenhalt höher und das struktu­rellen Zusammenhalts niedriger als im Durchschnitt. In der Dekade davor ist die individuelle Seite gewachsen wäh­rend das Maß struktureller Kohäsion unverändert blieb. Auch die relative Position Finnlands in den Rangtabellen des EU Cohesion Monitor hat sich kaum verändert. Unverändert liegt das Land auf Rang 16 im Bereich strukturellen Zusammenhalts. Was individuellen Zusammenhalt angeht, hat es sich vom 15. Auf den 12. Platz verbessert. Unter der Oberfläche von Stabilität verbergen sich allerdings größere Veränderungen. Seit 2007 haben sich die Wahlergebnisse für EU­ kritische Parteien deutlich verbessert. Gleichzeitig fallen 2017 jedoch auch die Einstellungen zur EU und die Wertschätzung ihrer Ergebnisse positiver aus als 2007. Im Bereich der Indikatoren strukturellen Zusammenhalts wird der deutliche Rückgang des Indikators Resilience durch Wachstum in den Indikatoren Funding und Security aus­ geglichen.

Frankreich

Ungeachtet seiner zentralen Rolle für den europäischen Integrationsprozess liegt der Zusammenhalt in Frankreich in den meisten Indikatoren unter dem Durchschnitt der EU. Überdurchschnittlich ausgeprägt sind nur die Indikatoren Policy Integration, Security und Resilience. Über die letzten zehn Jahre hin weg hat der Zusammenhalt in Frankreich annähernd so stark nachgelassen wie in Italien, allerdings von einem deutlich höheren Niveau aus. Im Bereich strukturelle Kohäsion ist nur der Indikator Funding seit 2007 gewachsen, im Bereich individuellen Zusammenhalts haben nur die Indikatoren Experience und Approval zugenom­men. In der Matrixdarstellung hat sich Frankreich entsprechend vom oberen linken Quadranten in den unteren linken Quadranten bewegt, der für geringe Zusammenhaltswerte in beiden Dimensionen steht. Diese Bewegung zeigt sich auch relativ zu anderen EU Staaten: Frankreich sinkt von Platz 8 auf 18 im strukturellen Zusammenhalt und von Platz 15 auf 22 im individuellen Zusammenhalt.

Griechenland

Im Zusammenhaltsprofil Griechenlands dominieren wider­sprüchliche Befunde: So zeigt der Funding Indikator hohe Werte, doch der Indikator Resilience weist extrem niedrige Werte auf. Die Griechen stehen der EU im allgemeinen sehr kritisch gegenüber, doch sie schätzen die Leistungen der EU­ Integration. Seit 2007 sind die Indikatoren Resilience, Engagement und Attitudes stark rückläufig. Während das Niveau an strukturellem Zusammenhalt insgesamt gehalten wurde (vor allem wegen steigender Mittelzuflüsse aus dem EU­ Haushalt), ist der individuelle Zusammenhalt deutlich gesunken. Selbst der deutliche Anstieg der Interaktion zwi­schen Griechen und anderen Europäern und die steigende Wertschätzung der Leistungen von Integration reichen nicht aus, um Abwärtsentwicklung der Indikatoren auszugleichen, die das Wahlverhalten und die generellen Einstellungen der Griechen zu Europa erfassen. Dies zeigt sich auch in der relativen Position Griechenlands. Im Ranking struktureller Kohäsion hält das Land 2017 den 16. Platz aus 2007; im glei­chen Zeitraum fällt Griechenlands individueller Zusammen­halt dagegen vom 14. auf den 26. Platz. Beide großen Krisen, die Finanzkrise wie die Flüchtlingskrise, haben den europä­ischen Zusammenhalt auf individueller Ebene beschädigt.

Großbritannien

Großbritannien war 2007 das Land mit dem niedrigsten Niveau an individuellem und strukturellem Zusammen­halt unter den größeren EU­Mitgliedern. Nur Polen und Rumänien lagen in ähnlichen Positionen in der Matrix des EU Cohesion Monitor. In der Dekade von 2007 bis 2017 wechselt Großbritannien vom 26. auf den 24. Platz in der Rangfolge des individuellen Zusammenhalts. In der struk­turellen Dimension fällt es dagegen weiter ab, vom 24. auf den 26. Platz. In seiner Nachbarschaft liegt nun nicht mehr Polen und Rumänien sondern Italien. Die relative Stagna­tion in den Rangpositionen überdeckt erhebliche Verän­derungen in den britischen Werten. Resilience, Economic Ties und Policy Integration fallen deutlich. Abgesehen vom Einbruch um 3,4 Punkte bei Engagement, der Indikator, der Parteien­ und Wahlverhalten misst, steigen alle übrigen Indikatoren, die individuellen Zusammenhalt beschreiben: Attitudes steigen um 1,8 Punkte und Approval und Experi­ ence um jeweils 1,1 Punkte. Der Großteil dieser Veränderungen fällt in die Zeit zwischen 2015 und 2017. Der Wert für Engagement fällt allein in dieser vom Brexit ­Referendum 2016 und den Parlamentswahlen 2017 geprägten Periode um 2,6 Punkte. Im gleichen Zeitraum sind dagegen die Atti­tudes um einen vollen Punkt im Plus.

Irland

Im Vergleich zu Ungarn steht Irland am entgegengesetzten Ende der Skala asymmetrischer Kohäsion. Das Land weist die größte Kluft zwischen niedrigen Werten für strukturellen Zusammenhalt und hohen Werten für individuellen Zusam­menhalt auf. Im Ranking des EU Cohesion Monitor liegt Irlands individueller Zusammenhalt 2017 auf dem 2. Platz (Platz 3 in 2007), jedoch auf Rang 26 in Bezug auf den struk­turellen Zusammenhalt, noch zwei Plätze niedriger als 2007. Alle Indikatoren für individuellen Zusammenhalt liegen in Irland über dem EU­Durchschnitt, und alle strukturellen Indikatoren liegen unter dem EU­ Durchschnitt. Zwischen 2007 und 2017 ist das schwache strukturelle Niveau weiter gesunken, trotz des Anstiegs einzelner Indikatoren wie Eco­nomic Ties und Security. Die Auswirkungen der Finanzkrise zeigen sich vor allem im mit ­2,1 Punkten deutlichen Abfall des Indikators Resilience seit 2007, während zugleich die Einstellungen zur EU allgemein und die Wertschätzung der Leistungen von Integration unter den Iren eine positive Ent­wicklung zeigen. Nur in den Benelux­Staaten findet sich ein vergleichbarer Trend, hier allerdings auf erheblich höher Ausgangsbasis an strukturellem Zusammenhalt. Die Daten legen den Schluss nahe, dass die positive Haltung der irischen Bevölkerung zur EU und zur europäischen Zusammenarbeit der irischen Politik die schmerzhaften Anpassungsschritte zur Überwindung der Finanzkrise erleichtert haben.

Italien

Unter den großen und integrationsfreundlichen Mitglied­staaten fällt das Schwinden des Zusammenhalts in Italien noch stärker ins Auge als in Frankreich. 2017 liegt die struk­turelle Kohäsion Italiens in fast allen Indikatoren unter dem EU­ Durchschnitt, nur die Mitwirkung Italiens in allen Bereichen der Integration und die Dichte sicherheitspolitischer Zusammenarbeit sind überdurchschnittlich. Andere Makroindikatoren fallen dagegen drastisch — Resilience um 1,6, Economic Ties um 2,4 Punkte zwischen 2007 und 2017. Über das Jahrzehnt seit 2007 bewegt sich das Land im Koordinatensystem des Monitors von einer Position in der Nähe Deutschlands und Frankreichs (obgleich mit gerin­geren Werten strukturellen Zusammenhalts) in die Nähe der Position Großbritanniens. Im Ranking strukturellen Zusammenhalts fällt Italien in diesen Zeitraum vom 19. auf den 25. Platz. Die Entwicklung individuellen Zusammen­halts zeigt eine noch stärkere Veränderung; hier fällt Italien von Rang 10 auf 23, der Abstand zum entsprechenden Wert für Deutschland wächst von 4 Plätzen auf 18.

Kroatien

Die Werte für strukturellen Zusammenhalt haben sich in Kroatien zwischen 2007 (sechs Jahre vor den Beitritt zur EU) und 2017 kaum verändert. Der Monitor zeigt ein Wachstum der Indikatoren Funding und Security, aber auch einen deutlichen Rückgang der Indikatoren Resilience und Economic Ties. Dadurch unterscheidet sich Kroatien deutlich von den anderen vergleichsweise neuen Mitglied­staaten der Europäischen Union, das Land bleibt auf der Ebene strukturellen Zusammenhalts deutlich unter dem EU ­Durchschnitt. Während Kroatien im Ranking struk­turellen Zusammenhalts vom 22. auf den 23. Platz fällt, springt beispielsweise Rumänien vom 21. auf den 11. Platz. Die leichte Zunahme der Werte für individuellen Zusam­menhalt in Kroatien wohl hauptsächlich auf leicht positiven Einstellung der Menschen zur EU und zu den Leistungen der Integration.

Lettland

Lettland zeigt ein vergleichsweise ausgeglichenes Zusam­menhaltsprofil — viele der Indikatoren bewegen sich 2017 auf ungefähr gleichem Niveau. Der strukturelle Zusam­menhalt ist stärker ausgeprägt als der individuelle, wobei letzterer knapp unter dem EU­ Durchschnitt bleibt. Wie in anderen ostmitteleuropäischen Staaten auch ist der struk­turelle Zusammenhalt seit 2007 stark gewachsen, mit +3,9 Punkten am deutlichsten im Indikator Funding und 2,0 Punkten im Indikator Policy Integration. Im Bereich indi­viduellen Zusammenhalts legt der Erfahrungsindikator um einen Punkt und die Wertschätzung für die Leistungen der Integration um 1,9 Punkte zu. In den Rangtabellen bewegt sich Lettland vom 5. auf den 3. Platz im Bereich struktu­rellen Zusammenhalts, und vom 21. auf den 17. Platz im Bereich individuellen Zusammenhalts.

Litauen

Ausgenommen die Indikatoren Security und Experience liegen alle übrigen acht Zusammenhaltsindikatoren für Litauen zwischen 6 und 8 Punkten auf der Zehnerskala des EU Cohesion Monitor, und damit sämtlich oberhalb des Durchschnitts der EU. Wie bei den meisten der neuen EU­ Mitglieder wird auch in Litauen die deutliche Zunahme strukturellen Zusammenhalts hauptsächlich über steigende Mittelzuflüsse aus dem EU ­Haushalts getragen. Die Mit­wirkung an Strukturen tieferer Integration (wie die Ent­scheidung des Landes zur Einführung des Euro) und die Zunahme des Indikators Approval sind ebenfalls mitent­scheidend für die deutliche Verbesserung des europäischen Zusammenhalts in Litauen. Beide Dimension des Zusam­menhalts liegen 2017 rund einen Punkt höher als zehn Jahre zuvor. Strukturelle Kohäsion hat allerdings leicht abgenom­men seit 2014, während der Aufwärtstrend im Bereich indi­vidueller Kohäsion auch unter den Vorzeichen der Flücht­lingskrise anhält. Im Ranking hat sich Litauen seit 2007 in Bezug auf strukturellen Zusammenhalt vom 7. Auf den 5. Platz verbessert, während das Land im Bereich des indivi­duellen Zusammenhalts einen Sprung von 10 Rangplätzen auf Rang 8 im Jahr 2017 macht.

Luxemburg

Luxemburg ist ein durch und durch europäisiertes Land — es weist den höchsten Stand an individuellem und strukturel­lem Zusammenhalt unter allen Mitgliedstaaten auf. Damit liegt Luxemburg in der Vierfeldermatrix des EU Cohesion Monitor am oberen Ende des Spektrums zwischen schwa­chem und starkem Zusammenhalt, dessen unteres Ende von Großbritannien gebildet wird. Dennoch lassen sich auch für Luxemburg noch Felder identifizieren, in denen Kohäsion weiter wachsen könnte, etwa im Bereich der sicherheitspo­litischen Zusammenarbeit oder der Dichte wirtschaftlicher Verflechtung. Immerhin ist der Indikator Security über die letzten zehn Jahre um 1,6 Punkte gesunken und der Indi­kator Economic Ties hat im gleichen Zeitraum 1,5 Punkte verloren. Auf der anderen Seite ist das Maß individuellen Zusammenhalts gewachsen, die Wertschätzung der Leistun­gen von Integration stieg sogar um 1,9 Punkte.

Malta

In Malta sind beide Dimensionen des Zusammenhalts zwi­schen 2007 und 2017 gewachsen. Mit Zypern gehörte Malta 2007 zu den EU ­Staaten mit dem geringsten Niveau an strukturellem Zusammenhalt. Seitdem hat sich die Insel auf Rang 20 verbessert, während Zypern beim strukturel­len Zusammenhalt noch immer den letzten Platz belegt. Im Bereich individuellen Zusammenhalts liegt Malta 2017 unverändert auf Rang 4, doch beschreibt dies die relative Position Maltas zu anderen EU­ Staaten. Im Vergleich zum Stand 2007 hat sich das Land von 6,8 auf 7,7 Punkte auf der Zehnerskala individueller Kohäsion verbessert. Wachsende wirtschaftliche Verflechtung und EU ­freundliches Wahlverhalten der Bevölkerung haben die positive Entwick­lung bisher maßgeblich getragen; weitere Potentiale liegen beispielsweise in der Verdichtung sicherheitspolitischer Zusammenarbeit oder intensiveren Kontakten zwischen den Menschen im europäischen Kontext.

Niederlande

Unter den stark europäisierten Benelux­ Staaten sind die Niederlande das einzige Land, dass in den zehn Jahren seit 2007 vom oberen rechten Feld der Vierfeldermatrix des Monitors (das für starken Zusammenhalt in beiden Dimen­sionen steht) in das obere linke Feld gewandert ist — dies steht für eher starken individuellen Zusammenhalt bei gleichzeitig eher niedrigen strukturellen Werten. Die struk­turellen Indikatoren sind mit ­0,8 Punkten insgesamt deut­lich zurückgegangen, am sichtbarsten im Indikator Econo­mic Ties, der um 2,4 Punkte gesunken ist. Andererseits sind drei von vier Indikatoren für individuellen Zusammenhalt so deutlich gewachsen (Approval sogar um 1,8 Punkte), dass selbst der deutliche Abfall des Indikators Engagement, in dem sich die Wahlerfolge EU­ kritischer Parteien spie­geln, in der Summe noch zu einem Plus von 0,4 Punkten führt. Der deutliche Wandel zeigt sich auch in der relativen Position des Landes im EU­ Ranking, noch verstärkt durch die steigenden Werten in anderen Staaten. Im strukturellen Zusammenhalt sind die Niederlande zwischen 2007 und 2017 vom 3. auf den 15. Rang gefallen, während sie im indi­viduellen Zusammenhalt vom 7. auf den 6. Platz steigen.

Österreich

In der Rangfolge des EU Cohesion Monitor für strukturellen Zusammenhalt ist Österreich zwischen 2007 und 2017 deut­lich zurückgefallen — vom 5. auf den 13. Platz. An individu­ellem Zusammenhalt hat das Land allerdings zwei Rang­ plätze gewonnen. Über die zehn Jahre ist die Zustimmung der Österreicher zur EU gewachsen, ebenso wie das Maß ihre Erfahrungen mit Europa, aber auch die Zustimmung zu EU­-skeptischen Parteien. Der stärkste Rückgang im Bereich strukturellen Zusammenhalts findet sich in den Indikatoren Resilience und Economic Ties.

Polen

Im Jahr 2014 zeigt Polen den für die ostmitteleuropäischen Länder typischen Zuwachs an strukturellem Zusammen­halt bei unterdurchschnittlichen aber stabilen Werten im Bereich individuellen Zusammenhalts. Seit der Flüchtlings­krise und den Parlamentswahlen 2015 dagegen hat sich Polens Entwicklung der in Ungarn angenähert: Strukturell wächst der Zusammenhalt weiter, während die Werte für individuellen Zusammenhalt sinken. Auf die gesamte 10 ­Jahresperiode gesehen sinkt der Indikator Engagement in Polen um 1,8 Punkte (zum Vergleich, der Rückgang in Griechenland beträgt 4,2 und der in Ungarn 1,2 Punkte). Auch die Einstellungen der Polen zur EU im allgemeinen haben sich leicht verschlechtert. Gleichzeitig sind alle übri­gen Indikatoren auf der Micro­- wie Makroebene gestiegen. Wie für viele der neuen EU ­Mitglieder treiben die Finanz­flüsse aus dem EU­ Haushalt das Wachstum strukturellen Zusammenhalts — der Indikator Funding steigt zwischen 2007 und 2017 um 4,4 Punkte. Relativ zu anderen EU­ Staa­ten verschlechtert sich der individuelle Zusammenhalt in Polen um einen Rang auf Platz 25, während strukturelle Kohäsion vom 20. Platz auf den 12. Rang springt. Dieser Sprung verdeckt allerdings, dass Polen 2017 das niedrigste Niveau strukturellen Zusammenhalts von allen ehemaligen Ostblock­ Staaten aufweist, auch weil das Niveau der übri­gen Staaten noch stärker gestiegen ist.

Portugal

Infolge der Staatsschuldenkrise nach 2007 und der durch die Auflagen des Hilfsprogramms verbundenen Einschnitte ist der europäische Zusammenhalt auf der strukturellen Ebene in Portugal gesunken. Andererseits ist das Maß indi­viduellen Zusammenhalts zwischen 2014 und 2017 deutlich gestiegen, und hat die vorherigen Verluste auf der Makro­ebene kompensiert. Im Ergebnis hat sich die Position des Landes in der Vierfeldermatrix vom unteren linken Feld, das für insgesamt schwachen Zusammenhalt steht, in das obere linke Feld verschoben. Allerdings liegen auch 2017 sowohl der individuelle wie der strukturelle Zusammenhalt unter dem Durchschnitt aller EU­ Staaten. Wachstumspo­tential besteht vor allem in einer Intensivierung der per­sönlichen Erfahrungen der Portugiesen mit Europa. Eine Verbesserung der strukturellen Seite könnte über vermehrte Kofinanzierung durch die EU erreicht werden, was jedoch eine weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vor­aussetzte. Dasselbe gilt für eine Verbesserung des Indika­tors Resilience — dieser ist zwischen 2007 und 2017 um 2,5 Punkte gefallen und wohl nur über Zeit umzukehren. Im Ranking ist Portugal im Bereich strukturellen Zusammen­halts vom 14. auf den 21. Platz gefallen, die Zunahme des individuellen Zusammenhalts hat Portugal dagegen vom 23. auf den 18. Platz gehoben. Neben dem kleinen Malta ist Portugal die sichtbare Ausnahme im generellen Rückgang individuellen Zusammenhalts im Süden der EU.

Rumänien

Obgleich das Gesamtniveau des europäischen Zusammen­halts in Rumänien seit 2007 gestiegen ist, liegt die Mehrzahl der Indikatoren noch immer unter dem EU­ Durchschnitt. Dieses Bild kann auch durch den außerordentlichen Anstieg des Indikators Funding um 6,4 Punkte nicht verdeckt wer­den, dessen Veränderung der wesentliche Treiber der Ent­wicklung Rumäniens in den Tabellen des Monitors ist. Die Zunahme der Indikatoren individuellen Zusammenhalts im Land fällt eher gering aus; die stärkste Veränderung zeigt des Indikator Engagement mit +1,3 Punkten. In der Vierfeldermatrix hat sich Rumänien aus dem unteren lin­ken Viertel schwachen Zusammenhalts in das rechte untere Viertel bewegt und zeigt jetzt ein asymmetrisches Muster eher hohen strukturellen Zusammenhalts bei noch immer eher niedrigen individuellen Werten. Das Land liegt 2017 allerdings an der Schwelle zum oberen rechten Feld. Ausgehend von einer deutlich niedrigeren Position im Ranking als Bulgarien, liegt Rumänien 2017 in beiden Dimensionen nur noch jeweils einen Platz hinter Bulgarien.

Schweden

In Schweden bleiben die Niveaus an Zusammenhalt in der Zeit zwischen 2007 und 2017 erstaunlich stabil; mehr als andere Länder trotzte Schweden offenbar den Auswirkun­gen der Finanz­ und vor allem der Flüchtlingskrise – Schwe­den war eines der drei Länder, das seit 2015 am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Die schnelle Erholung von der Finanzkrise geht möglicherweise auf die schwedischen Erfahrungen mit einer ähnlichen Krise in den 1990er Jah­ren zurück. Seit 2007 sind alle Indikatoren für individuel­len Zusammenhalt im Plus, auch wenn sich dieser positive Trend in den Jahren seit 2015 und den Kontroversen um Migration nach Europa abzuschwächen scheint. In Schweden, noch mehr als in Finnland, steht dem starken individu­ellen Zusammenhalt ein vergleichsweise schwacher struk­tureller Zusammenhalt gegenüber. Dennoch ist Schweden das einzige der kleinen, wohlhabenden EU­ Mitglieder das selbst hier einen kleinen Zuwachs verzeichnet. In der Rang­liste des EU Cohesion Monitor steigt Schweden beim struk­turellen Zusammenhalt vom 22. Platz im Jahr 2007 auf den 21. Platz im Jahr 2017; auf der individuellen Ebene im selben Zeitraum vom 18. auf den 10. Platz.

Slowakei

Im Jahr 2017 befindet sich die Slowakei auf einem besonde­ren Platz im oberen rechten Viertel der Vierfeldermatrix des Monitors, das für insgesamt hohen Zusammenhalt steht. Kein anderes EU­ Mitglied ist auf der Makroebene so stark gewachsen wie die Slowakei und hat gleichzeitig auf der Mikroebene moderat gewonnen. Abgesehen vom Indikator Security liegen 2017 alle strukturellen Indikatoren über dem EU ­Durchschnitt. Auf der individuellen Seite dagegen gilt dies nur für einen der vier Indikatoren, Approval. Zwi­schen 2007 und 2017 ist das Maß strukturellen Zusammen­halts stark gewachsen, getrieben vor allem durch die Finanzflüsse aus dem EU ­Haushalt und den Beitritt zu Strukturen tieferer Integration wie der Währungsunion. In Bezug auf strukturellen Zusammenhalt stieg das Land seit 2007 vom 4. auf den 2. Platz im Ranking des Monitor, während es im individuellen Zusammenhalt einen Rang einbüßte und 2017 auf Platz 16 steht. Das Wahlverhalten und die generellen Einstellungen der Slowaken fallen heute EU ­kritischer aus als noch 2007, die Indikatoren Engagement und Attitudes fielen in den letzten zehn Jahren um 1,3 bzw. 0,6 Punkte.

Slowenien

Wie auch die Slowakei ist Slowenien wirtschaftlich eng mit dem Rest Europas verbunden. Ein Großteil der Bevölke­rung lebt in unmittelbarer Nähe zu anderen EU Staaten.  Im EU Cohesion Monitor liegt Slowenien deshalb über dem EU­ Durchschnitt bei den Indikatoren Neighbourhood und Economic Ties. Bei allen anderen Indikatoren liegt es nahe dem Durchschnitt. Zwischen 2007 und 2017 ist das Land in das obere rechte Feld der Zusammenhaltsmatrix des Moni­tors gerückt. Grund dafür sind deutliche Gewinne in den strukturellen Indikatoren Funding und Policy Integration und auf der individuellen Ebene bei Approval. Gleichzei­tig verliert Slowenien bei Resilience um 1,9 und bei Attitu­des um 1,8 Punkte. Ungeachtet wachsenden Zuspruchs für euroskeptische Parteien und den Herausforderungen von Flucht und Migration hat sich Sloweniens Position im Zeit­raum 2014­-2017 nicht verändert; die Zugewinne stammen alle aus dem Zeitraum 2007­2014. In der Gesamtperiode von 2007 bis 2017 bleibt Slowenien auf dem 8. Platz beim strukturellen Zusammenhalt und fällt vom 9. auf 12. Platz in der Rangliste des individuellen Zusammenhalts.

Spanien

Spaniens Niveau an individuellem Zusammenhalt lag 2017 nahe beim europäischen Durchschnitt dieser Indikatoren. Die Ausnahme bildet das geringere Niveau bei Experience, das einen relativen Mangel an Interaktionen und Erfahrun­gen mit dem Rest Europas spiegelt. Auf der strukturellen Seite liegt Spanien, abgesehen von den Indikatoren Policy Integration und Security, deutlich unter dem Durchschnitt seiner Partner. In der Dekade seit Ausbruch der Finanzkrise, von 2007 bis 2017, brechen in Spanien die Werte für Resili­ence, Funding und Economic Ties ein, um jeweils 2,9 Punkte, 1,2 Punkte und 0,4 Punkte. Auf der individuellen Ebene von Zusammenhalt stieg in der selben Zeit der Zuspruch für euro­ skeptische Parteien deutlich, auch wenn sich in Spanien bis­ her keine offen anti­europäische Partei etablieren konnte. Der Indikator Attitudes fällt ebenfalls deutlich um 1,0 Punkte. Dagegen steigen die Werte für Approval, also die öffentliche Zuspruch zu Feldern der europäischen Integration, um 1,5 Punkte. Im Ranking des EU Cohesion Monitor fällt Spanien vom 8. Platz im Jahr 2007 (demselben Niveau wie Frank­reich und Deutschland) auf den 19. Platz beim strukturellen Zusammenhalt ab. Der Verlust in der individuellen Dimen­sion ist etwas weniger stark, auch im Vergleich zu Griechen­land, Italien Frankreich aber dennoch erheblich. Spanien rutscht hier vom 7. auf den 14. Platz.

Tschechische Republik

Die Tschechen bilden gewissermaßen das Gegenbild zu den Zyprioten. Neben Ungarn weist kein anderes Land einen grö­ßeren Abstand zwischen hohen Werten strukturellen Zusam­menhalts und niedrigen Werten für individuellen Zusam­menhalt auf. Dabei ist der strukturelle Zusammenhalt über das Jahrzehnt seit 2007 erheblich gewachsen, sowohl absolut als auch im Verhältnis zu anderen EU Staaten. 2007 lag die Tschechische Republik hier auf dem 8. Platz (auf vergleich­ barem Niveau mit Deutschland und Frankreich). 2017 findet sich das Land auf Rang 5, während Deutschland auf Rang 13 und Frankreich auf 18 gefallen sind). Bis auf die Indikatoren Security und Policy Integration liegen 2017 alle Felder struk­turellen Zusammenhalts in der Tschechischen Republik über dem EU ­Durchschnitt. Die stärkste Veränderung zeigt sich auch hier in Bezug auf die Finanzflüsse aus dem EU­ Haus­ halt. Andererseits liegen sämtliche Indikatoren individuellen Zusammenhalts unter dem EU­ Durchschnitt. Zwischen 2007 und 2017 hat die skeptische Haltung der Tschechen zur EU zugenommen, doch ihre Unterstützung für EU-­kritische Par­teien ist gefallen.

Ungarn

Kein anderer EU­ Staat zeigt eine größere Kluft zwischen hohen Werten für strukturellen Zusammenhalt und nied­riger Werten auf der individuellen Ebene als Ungarn. Ver­gleichbar ist nur die Tschechische Republik, wo die Dis­krepanz nur wenig geringer ist. Dahinter steht ein rapider Anstieg des strukturellen Indikators Funding um 7,3 Punkte (auf einer Skala von 1­10) zwischen 2007 und 2017. Im glei­chen Zeitraum fiel der individuelle Indikator Engagement, der Wahlverhalten misst, von einem ohnehin niedrigen Niveau um weitere 1,2 Punkte. Die große Kluft resultiert also aus den Effekten stark gewachsener Subventionen Ungarns aus dem EU­ Haushalt, bei gleichzeitig geringen Erfahrungen der Ungarn mit anderen Europäern und hoher Zustimmung für EU ­kritische Parteien. Insgesamt spiegelt das Zusammenhaltsprofil Ungarns das der anderen drei Visegrád­-Staaten wider, doch sind die Werte für individu­ellen Zusammenhalt nirgends niedriger als in Ungarn —  die entsprechenden Werte Polens bewegen sich seit den Wahlen 2015 ebenfalls in diese Richtung. Ungarns Wandel in Sachen Zusammenhalt zeigt sich auch im Ranking der EU­Staaten: Strukturell springt das Land vom 13. auf den 3. Platz, fällt individuell jedoch vom 27. auf den 28. Platz. Die Spannbreite individueller Kohäsion zeigt der Vergleich mit der Slowakei, die hier mit 5,9 den höchsten Wert aller vier Visegrad -Staaten aufweist, während Ungarn 2017 nur auf 4 Punkte kommt.

Zypern

Nur der griechische Teil Zyperns gehört zur Europäischen Union, und die Insel belegt im Feld individuellen und struk­turellen Zusammenhalts einen besonderen Platz unter den 28 Staaten. Zypern weist den niedrigsten Wert von allen im Bereich strukturellen Zusammenhalts auf, doch in Bezug auf das Niveau individuellen Zusammenhalts liegt das Land 2007 auf dem 4. beziehungsweise 2017 auf dem 7. Rang. Die strukturelle Schwäche beruht auf der räumlichen Tren­nung von der EU und dem vergleichsweise geringen Zufluss von Mitteln aus dem EU-Haushalt, verbunden mit geringen Werten für die Indikatoren Resilience und Security. Die hohen individuellen Werte werden durch die dichten Erfah­rung in der Zyprioten mit den übrigen Europäern und ihrer Zustimmung zu EU-freundlichen Parteien getragen. Auffäl­lig ist dagegen die vergleichsweise kritische Einstellung der Zyprioten zur EU im Allgemeinen.

Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf den europäischen Zusammenhalt

Die Ankunft einer bis dahin ungekannt großen Zahl von Flüchtlingen in der Europäischen Union vom Sommer 2015 bis zum Frühjahr 2016 hat die Politik der EU­-Staaten schwer belastet. Die Wirkungen der Krise waren jedoch ungleich verteilt, denn die meisten Menschen kamen in nur zwei Staaten an, Griechenland und Italien. Von dort gelangten sie über Ungarn und den Westlichen Balkan nach Österreich, Deutschland und über Dänemark auch nach Schweden, in geringerer Zahl auch in die Niederlande und nach Belgien. Die hier genannten Staaten trugen die größte Last. Die Aus­wirkungen waren jedoch im gesamten Schengen ­Raum zu spüren, denn die Krise hatte die Dublin­ Regeln zum Asyl gesprengt und zur vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen geführt. Behandlung und Verbleib von Asylsuchenden und Geflüchteten wurde zum Gegenstand massiver politischer Konflikte.

Die Krise katapultierte das Thema Flucht und Migration an die Spitze der politischen Agenda in vielen EU ­Staaten wie auch auf der Ebene der Union selbst; sie wurde Beschleuni­ger und Wahlhelfer populistischer Parteien, die gegen die EU oder die EU­ Mitgliedschaft agierten. Die Perspektive einer gemeinsamen europäischen Einwanderungspolitik scheidet die Europäer zwischen Ost und West. Die Daten des regelmäßig erhobenen Eurobarometers belegen, dass der größte Wandel in der Haltung zu dieser Frage seit 2014 in acht ostmitteleuropäischen Staaten zu verzeichnen ist. Wie die Grafik veranschaulicht, ist die Zustimmung zu einer solchen Politik zwischen 21 und 11 Prozentpunkten gefallen, am stärksten von allen in Polen.

Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Krise, die zudem solche Wirkungen auf die politischen Präferenzen zeigt, auch den Zusammenhalt der Europäer berührt. Wenn man daraufhin die Datenlage Ende 2017 analysiert, wird man eher geringe Effekte für den strukturellen Zusammenhalt erwarten, wie ihn der EU Cohesion Monitor misst. Denn im Unterschied zur Finanz­ und Staatsschuldenkrise betrifft die Flüchtlingskrise Handelsverflechtungen und Finanz­flüsse nicht direkt, und wirkt auch nicht unmittelbar auf die sicherheitspolitische Zusammenarbeit oder die Resilienz. Drei der sechs Indikatoren strukturellen Zusammenhalts weisen zwischen 2014 und 2017 kaum Veränderungen auf. Einen der stärksten Ausschläge zeigt der Monitor etwa für den Indikator Resilience im Fall Irland. Das Plus von 1,3 Punkten spiegelt hier vor allem das Ergebnis der Verarbei­tung der Finanzkrise wider und steht nicht im Zusammen­hang zur Flüchtlingskrise.

In der EU insgesamt hat die Flüchtlingskrise keine mess­bare Auswirkung auf das Handelsvolumen und die Inves­titionen gezeigt, und auch der Nachbarschaftsindikator wird durch das Migrationsthema nicht betroffen. Die Zahl der Opt­out­-Entscheidungen von Mitgliedstaaten — also die Nichtbeteiligung an Strukturen und Prozessen tieferer Integration — ist leicht gestiegen, hängt aber kaum mit der Flüchtlingskrise zusammen. Gravierende Wirkungen könnte die Krise jedoch entfalten, wenn etwa das Dublin­ System völlig zusammenbräche oder der Zusammenhalt des Schen­gen­-Raums in Frage gestellt würde. Im Rahmen des mit­telfristigen Finanzrahmens der EU, der nach 2020 gelten wird, könnten weitere Wirkungen zutage treten, wenn etwa der Zugang zu Förderbudgets der EU an die Umsetzung gemeinsamer Entscheidungen wie die zur Verteilung von Flüchtlingen geknüpft werden würde. Denn gerade in diesem Bereich haben sich parallel zur Flüchtlingskrise noch einmal deutliche Veränderungen vollzogen. Der Indikator Funding ist seit 2014 im EU­-Schnitt um 0,4 Punkte gewachsen, dar­unter um 1,4 Punkte im Schnitt für die Visegrád­-Staaten, 3,4 Punkte in Rumänien, 2,9 Punkte in Bulgarien und 2,4 Punkte in Kroatien. Offenbar hat die Haltung dieser Staaten in der Flüchtlingspolitik keine Auswirkung auf den Umfang des Mittelzuflusses aus Brüssel gehabt. Umgekehrt ist auch festzuhalten, dass die Kompromissbereitschaft der größten Empfängerstaaten durch Transfers aus Brüssel nicht positiv beeinflusst wurde. Dies gilt allerdings auch für Staaten, für die der Indikator Funding zwischen 2014 und 2017 rückläufige Werte zeigt, vor allem für Estland (­2,4 Punkte), Litauen (­1,9) und Portugal (­1,4).

Schließlich ist auch der Indikator Security seit 2014 in der EU insgesamt gefallen, mit ­1,9 Punkten am stärksten in Frankreich, in Luxemburg (­1,1) und Italien (­1,0), gefolgt von Belgien, Estland, Portugal und Großbritannien. Auch hier ist ein Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise nicht zu erkennen.

Unter den vier Indikatoren für individuellen Zusammenhalt waren kurzfristig wirksame Ausschläge durch die Flücht­lingskrise für die Indikatoren Engagement, Attitudes und Approval zu erwarten. Dagegen scheint wenig plausibel, dass die Einwanderung von außerhalb der EU unmittelbar auf den Indikator Experience wirkt, denn dieser misst europaspezifische Faktoren wie etwa der Umgang mit Menschen aus anderen EU­-Staaten. Die Daten zeigen, dass der Indi­kator Approval, der die Wertschätzung der Leistung von Integration misst, weniger stark auf die Flüchtlingskrise reagiert, als die Indikatoren Attitudes und Engagement. Bezogen auf die gesamte EU wächst die Wertschätzung für die Leistungen von Integration um 0,1 Punkte seit 2014; zwischen 2007 und 2014 betrug das Wachstum allerdings 1,0 Punkte. Überraschend ist, dass Approval seit 2014 in Deutschland und Schweden um 0,3 bzw. 0,4 Punkte wächst, obgleich beide Länder besonders stark durch den Zustrom an Flüchtlingen betroffen waren, während der  Indikator im gleichen Zeitraum in Österreich, Bulgarien, Polen und Rumänien um jeweils 0,4 Punkte, in Italien, Dänemark und Ungarn um jeweils 0,2 Punkte fällt.

Der Indikator Attitudes, der die generellen Einstellungen der Menschen zur EU erfasst, steigt zwischen 2014 und 2017 EU­weit um 0,3 Punkte, nachdem er in Zeiten der Finanzkrise zwischen 2007 und 2014 um den gleichen Wert gefallen war. Die positive Entwicklung zeigt sich besonders in großen Staaten sowie unter den wohlhabenden kleineren EU ­Mitgliedern. Die Werte für die Visegrád­ Staaten wei­sen dagegen in die entgegengesetzte Richtung; sie fallen seit 2014 im Schnitt um 0,5 Punkte (in Ungarn nur um 0,1 Punkte), während sie zwischen 2007 und 2014 noch leicht um 0,1 Punkte gewachsen waren. Den stärksten EU ­kri­tischen Stimmungsumschwung verzeichnen seit 2014 die Tschechische Republik mit ­0,9 Punkten, Rumänien (­0,7) sowie die Slowakei und Polen mit jeweils ­0,6 Punkten. Die Finanzkrise hatte zwischen 2007 und 2014 in den am meisten betroffenen Staaten größere Ausschläge dieses Indikators zur Folge: In Griechenland fiel Attitudes um 3,2 Punkte, auf Zypern um 2,4 und in Spanien um 2,0 Punkte.

Die Datenanalyse der ersten Ausgabe des EU Cohesion Monitor legte nahe, dass Krisen ihren sichtbarsten Nieder­schlag in den Werten des Indikators Engagement finden, da dieser in erster Linie das Abschneiden EU ­kritischer oder EU ­feindlicher Parteien in nationalen und europäischen Wahlen misst. Die aktuellen Werte für diesen Indikator sind allerdings mit der Einschränkung zu lesen, dass in der Untersuchungsperiode von 2014 bis 2017 nicht in allen Staa­ten Wahlen seit Ausbruch der Flüchtlingskrise stattgefunden haben. Nimmt man den EU ­Durchschnitt 2017 zum Ver­gleich, so zeigen sich die deutlichsten Abweichungen nach unten in den Visegrád-­Staaten sowie in Griechenland und Großbritannien. So liegt der Wert des Indikators Engage­ment in Ungarn um 4,6 Punkte, in Großbritannien immer­ hin noch um 2,4 Punkte unter dem EU­ Schnitt. Im Vergleich über Zeit weist Großbritannien den stärksten Rückgang des Indikators Engagement auf — das Land verliert 3,4 Punkte seit 2007, davon 2,6 allein zwischen 2014 und 2017.

Um den Effekt der Flüchtlingskrise umfassend beurteilen zu können, wird der EU Cohesion Monitor noch zwei oder drei weitere Datensätze benötigen. Erst dann kann beurteilt wer­den, wie die individuellen Indikatoren betroffen wurden und wie stark die Erfolge EU ­kritischer Parteien an die öffentli­che Wahrnehmung der Migrationsthematik gebunden sind. Im Jahr 2020 werden in allen Staaten und auf Ebene der EU Wahlen stattgefunden haben, und möglicherweise zeigen sich längerfristige Wirkungen der mit der Krise verbundenen politischen Konflikte auch in den strukturellen Indikatoren.

 

Schlussfolgerung

Die Gesamtschau des EU Cohesion Monitor verweist deut­lich auf diejenigen Staaten und Regionen, in denen niedrige bzw. schwindende Zusammenhaltswerte das Bindegewebe der europäischen Integration strapazieren. Dieser Effekt wird am sichtbarsten im Bereich des individuellen Zusam­menhalts. In der Grafik dieses Bereichs für 2017 sind die rot markierten Staaten diejenigen mit den niedrigsten Werten für individuellen Zusammenhalt. Zugleich sind es genau diese Staaten, die den Zusammenhalt der Europäer insge­samt belasten: Großbritannien durch den konfliktreichen Brexit­ Prozess, drei der vier Visegrád-­Staaten durch ihre Blockadehaltung in der Migrationspolitik und darüber hin­ aus, Griechenland und Italien durch ihr anhaltendes Defizit im Bereich struktureller Reformen. Koinzidenz begründet noch keine Kausalität, doch es gibt zu denken, dass offenbar niedriger Zusammenhalt auf der Mikroebene der Bürger einhergeht mit der Unterstützung integrationskritischer oder integrationsfeindlicher Politik. 

Die Landkarte strukturellen Zusammenhalts vermittelt eine andere Botschaft. Es ist die einer Erfolgsgeschichte für die ostmitteleuropäischen Staaten, in denen der Zuwachs auf der Makroebene beispiellos hoch ausfällt. Im Erfolg liegt zugleich auch ein Risiko — wie steht es um den europäischen Zusammenhalt in diesen Staaten, wenn etwa die Mittelzu­flüsse aus Brüssel sinken, weil sich das Entwicklungsgefälle verringert oder weil sich die Prioritäten europäischer Haus­haltspolitik verschieben? Wie steht es um den Zusammen­halt wenn die wirtschaftliche Integration der Region in die EU ihren Höhepunkt erreicht? Wie wird dann das geringe individuelle Zusammenhaltspotential wirken? Die Entwick­lung der Indikatoren strukturellen Zusammenhalts in ande­ren peripheren Räumen der EU lassen erkennen, dass starke Treiber wie der Indikator Funding dort nicht zu einer Ver­besserung der individuellen Zusammenhaltswerte geführt hat. Vielmehr haben sich zwischen 2014 und 2017 außerhalb der ostmitteleuropäischen Staaten die individuellen Zusam­menhaltsfaktoren als bedeutsamer für die Entwicklung des Gesamtniveaus erwiesen. Ende 2017 zeigt die Matrixdarstel­lung zwölf Staaten in der rechten Hälfte der Vierfeldergra­fik, das heißt, in diesen zwölf liegt das Niveau strukturellen Zusammenhalts über dem Mittelpunkt der Skala. Dagegen befinden sich 20 Staaten in der oberen Hälfte der vier Fel­der, die für individuelle Zusammenhaltswerte oberhalb der Mitte steht. Betrachtet man die 20 Staaten näher, so zeigt sich, dass das hohe Niveau individuellen Zusammenhalts  in stark unterschiedlichen Kontexten und Rahmenbedin­gungen erreicht wurde. Wenn die Schlussfolgerung aus der Datenlage in der gesellschaftlichen Wirklichkeit trägt, so hat dies eine konzeptionelle Konsequenz für die Förderung des Zusammenhalts. Unter diesem Blickwinkel sollte weniger auf die zusammenhaltsfördernden Effekte von Subventionen oder wirtschaftlicher Verflechtung gesetzt werden, als auf Faktoren, die für die Menschen selbst unmittelbar erfahrbar sind. Einer der Indikatoren reagiert jedenfalls direkt auf Kri­sen und politische Konflikte: das Wahlverhalten. Bleiben die anderen Mikro ­Indikatoren schwach, so prägt dieser Indika­tor das Gesamtbild.

Diese Ableitung lässt sich fortsetzen in weitere Empfeh­lungen an politische Akteure, Institutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen, um den europäischen Zusam­menhalt unter den Europäern auszubauen und zu fördern:

Förderstrategien differenzieren

Spezifische Verhältnisse erfordern darauf zugeschnit­tene Strategien — dies ergibt sich aus der deutlich sicht­baren Diversifizierung des Zusammenhaltsprofil der 28 EU­ Staaten zwischen 2007 und 2017. Dasselbe, in Brüssel ausgedachte, für alle Staaten gültige Rezept wird der Lage in der EU nicht gerecht.

„Sorgenkinder“ priorisieren

Länder mit stark asymmetrischem Zusammenhaltsprofil erfordern besondere Aufmerksamkeit — so wie Ungarn und die Tschechische Republik, in denen sehr hohe struk­turelle Werte sehr geringen individuellen Werten gegen­ überstehen. Aufmerksamkeit sollte auch Irland erfahren, selbst wenn die dortige Asymmetrie hoher individueller Werte bei niedrigen strukturellen Werten weniger prob­lematisch erscheint. Die schwache Verflechtung mit der EU auf der Makroebene könnte dann politisch brisant werden, wenn sich das Land etwa gezwungen sähe, als Folge des Brexit zwischen tieferer Integration in der EU oder der Fortsetzung des traditionellen Verhältnisses zu Großbritannien zu entscheiden. Italien verdient ebenfalls besonderes Augenmerk, denn dort könnten beide Quellen des europäischen Zusammenhalts versiegen, wenn sich die Entwicklung seit 2007 weiter fortsetzt. Lösen sich die Bindungen des Landes an Europa weiter, so könnte die italienische Politik mit ihrer traditionell europafreund­ lichen Haltung brechen und damit erhebliche politische Verwerfungen in der EU auslösen. 

Veränderungen antizipieren

Die Bedingungen für strukturellen Zusammenhalt wer­den sich in Ostmitteleuropa verändern. Im kommenden Jahrzehnt dürfte die Bedeutung des Indikators Funding gegenüber der Dekade 2007­-2017 deutlich abnehmen— eine Folge zunehmenden Wohlstands, aber auch ver­änderten EU­ Politiken; gleichzeitig ist damit zu rech­nen, dass den Menschen die Finanztransfers der EU zur Selbstverständlichkeit werden.

Individuellen Zusammenhalt stärken

Die Analyse zeigt, dass individueller Zusammenhalt kurz­fristiger verändert werden kann — positiv und negativ— als die Faktoren auf struktureller Ebene. Ungeachtet der wachsenden Unterschiede im Zusammenhaltsprofil der EU ­Staaten, ist individueller Zusammenhalt zwischen 2007 und 2017 insgesamt immerhin leicht gestiegen, und dies trotz tiefgreifender Umbrüche und Krisen und inten­siven, streitigen Debatten über die Zukunft der EU in der Öffentlichkeit. Zwar schwanken einige der Faktoren für individuellen Zusammenhalt deutlich, vor allem im Indikator Engagement, doch andere zeigen sich recht stabil. Die Indikatoren, in denen der Monitor die Erfah­rungen und Begegnungen von Menschen sowie ihre Hal­tung zu den Leistungen von Integration erfasst, haben  im Untersuchungszeitraum die Ausschläge im Wahlver­halten ausgeglichen — ihr Gewicht wog in der Summe schwerer als die Gewinne der populistischen Parteien und die Zunahme EU­-kritischer Einstellungen. Programme, die Kompetenzen, Erfahrungen und das gemeinsame Handeln von Menschen stärken, können in diesem Sinne europäischen Zusammenhalt auf der Mikroebene bewah­ren und fördern.

Wie weit diese Empfehlungen tragen, wird sich über die kommenden Jahre erweisen, wenn die längerfristigen Wir­kungen und Folgen der Flüchtlingskrise für den Zusam­menhalt sichtbarer werden, nicht zuletzt auch als Folge der politischen Reaktion auf diese Krise und des Ausgangs der massiven politischen Konflikte darüber. Zum Ende des Jahres 2017 scheint sich die Wirkung der Flüchtlingskrise nicht so stark in den Werten für europäischen Zusam­menhalt niederzuschlagen, wie auf dem Höhepunkt der Krise 2016 zu befürchten war. Doch wirkungslos bleibt diese Krise sicher nicht, dies zeigen schon die Ausschläge des Indikators Engagement. Bei aller gebotenen Zurück­haltung scheint doch ein klarer Zusammenhang zwischen dieser Krise und dem Zulauf für populistische Parteien in Europa gegeben. So ist es keineswegs zufällig, dass all diese Parteien das Thema Zuwanderung und seine kulturellen, sprachlichen und religiösen Implikationen, in den Vorder­grund stellen.

Auch wenn die Einstellungen zur EU im Allgemeinen insge­samt kritischer ausfallen, so fallen doch in etlichen EU­ Staa­ten gleichbleibende oder steigende Werte für den Indikator Approval ins Auge, der die Wertschätzung von Integrations­ergebnissen misst. Der darin liegende Widerspruch ist wohl mit der Einsicht der Menschen zu erklären, dass das Thema Zuwanderung eine europäische Antwort erfordert, wenn die Binnengrenzen offengehalten und Freizügigkeit gewährt werden sollen. An diesem Punkt liegen die Unterschiede zwischen Ost und West besonders deutlich zutage. Im Osten der Europäischen Union fehlen die generell positiven Erfah­rungen mit Zuwanderung und kultureller Vielfalt, und die Zuwanderung in größeren Zahlen von außerhalb Europas ist dort unbekannt. Für viele Menschen in Ostmitteleu­ropa verbindet sich Migration über Generationen hinweg mit Auswanderung und Exil, Vertreibung oder sowjetischer Umsiedlungspolitik. Diese Gesellschaften sind aus dem Kal­ten Krieg ethnisch und kulturell homogener hervorgegangen als die des Westens. Die Zuwanderung, die sie erlebt haben, stammt zumeist aus Osteuropa, und nicht aus dem Nahen Osten, aus Afrika, der Karibik oder Asien. 

Weder Kommission noch Ministerrat der EU werden imstande sein, die historischen, kulturellen und sozioöko­nomischen Wahrnehmungen der Ostmitteleuropäer auf dem Weg von Verordnungen oder Mehrheitsentscheidun­gen zu überwinden. Die Debatte über die Migrationspolitik auf diesen Ansatz zu verengen bedeutet die Aushöhlung der EU als Rechtsgemeinschaft und könnte so das gesamte Gebäude der Integration beschädigen. Ein Ausweg könnte darin liegen, die Unterschiede in den Positionen zu respek­tieren, aber die nötigen gemeinsamen Schritte in Fragen der Zuwanderung, des Asyls, der Grenzsicherung und des finanziellen Lastenausgleichs in einer Gruppe von Staaten zu vollziehen, der nicht alle EU­ Mitglieder angehören.

Die eigentliche Bedeutung des Dissenses über die Migra­tionspolitik reicht jedoch weit über das Thema und sogar über den Rahmen der EU­-Politik selbst hinaus. Weiter gedacht, geht es in diesem Konflikt um die Errichtung einer grundsätzlichen Schranke tieferer Integration, um eine kon­zeptionelle Barriere gegen „mehr Europa“. Überall rekla­mieren die neuen populistischen Strömungen die nationale Souveränität als ein öffentliches Gut, das nicht mit anderen geteilt werden, kann ohne den Verlust von Identität und Integrität des Nationalstaats nach sich zu ziehen. In Polen oder Ungarn, aber nicht nur dort, lebt die Erinnerung an Bevormundung und Enteignung durch externe Akteure oder durch Nachbarstaaten fort und beflügelt diese Argu­mentation. Die bisweilen zu hörende Bezeichnung Brüssels als das „neue Moskau“ gehört in diesen Begründungskon­text ebenso wie die Darstellung der EU als Hegemonialin­strument Deutschlands3. Diese Haltung gibt sich offen für internationale Zusammenarbeit, lehnt dagegen Integration als Konzept ab. Der Beitritt zur EU war nötig zur Konsoli­dierung von Demokratie und Marktwirtschaft; die Mitglied­schaft steht für die Bestätigung der erbrachten Transforma­tionsleistung, deren zu entrichtender Preis in der Akzeptanz des Regelwerks der EU lag. In der heutigen Lage fordern die Protagonisten dieser Haltung sozusagen „ihre“ Souveränität zurück — so wie Margaret Thatcher 1984 den Britenrabatt forderte, elf Jahre nach dem Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft.

Erschwerend für Europa kommt hinzu, dass vergleichbare Haltungen in der Welt jenseits des Kontinents ebenfalls Kon­junktur erfahren. Selbsternannte „starke Führer“ sind auf dem Vormarsch in Peking, Moskau, Ankara, Washington und anderswo. Für sie steht Souveränität eindeutig über den Regeln und Strukturen globaler Verflechtung; sie ver­folgen einen wirtschaftlichen Nationalismus und streben nach Vormacht und Geltung. Wahrscheinlich werden in den kommenden Jahren weitere Trumps, Putins und Erdogans die politische Bühne betreten. Nationalisten in Europa, vor allem im Osten der EU, verfolgen die Reden des US­-Präsidenten Donald Trump mit großer Befriedigung, da diese regelmäßig vom Wettbewerb und von der Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten als der richtigen Ordnung der internationalen Politik handeln. Hierin liegt das neue Narra­tiv der Weltpolitik gegen das sich die Idee der europäischen Integration behaupten muss. Die ideologische Wucht die­ses Narrativs könnte die zusammenhaltstiftenden Faktoren, die der EU Cohesion Monitor ermittelt hat, aushebeln. Rein pragmatische Politik zieht häufig den Kürzeren gegen die Erklärungssicherheit der Ideologie — deshalb wird die fällige nächste Debatte über die Zukunft der europäischen Integra­tion nicht mehr über Kosten und Nutzen geführt werden kön­nen. Vielmehr wird sie klären müssen, was Souveränität den europäischen Nationen wirklich bedeutet und wie ihre Wahr­nehmung gestaltet werden sollte in der Welt, in der wir leben.

 

Danksagung

Ich möchte all jenen danken, die sich innerhalb des ECFR und darüber hinaus zum EU Cohesion Monitor, zu seiner Methodik und zu seinem Design geäußert haben und sich an den vielen Debatten über die Ergebnisse und Interpreta­tionen dieser Studie beteiligt haben. Die Bitte, die in unseren Gesprächen am häufigsten geäußert wurde, war die nach einer aktualisierten Ausgabe, sobald Daten zur Flüchtlingskrise von 2015/16 verfügbar sind. Der neue EU Cohesion Monitor und dieser Policy Brief beziehen sich auf diese Nachfrage.

Ich bin besonders dankbar für die Unterstützung und das Feedback des Projektteams von Rethink: Europe, Christoph Klavehn, Christel Zunneberg und Juliette Wyss. Ihre Beteili­gung an der Umsetzung des Monitors und Analyse der Daten sind das Rückgrat dieses Projekts. Ein besonderer Dank geht an Chris Raggett und Wiebke Ewering, deren geduldiger Ein­satz die englische Erstausgabe dieses Textes möglich gemacht hat.

Ein Dank geht auch an die Architekten und Kartographen Dieter Dollacker und Dirk Waldik für ihre Arbeit am Grafik­ und Designkonzept dieses Projekts und der Umsetzung des interaktiven Datenatlas EU Cohesion Monitor, der unsere Daten auf überzeugende und einzigartige Weise visualisiert.

Auch der Stiftung Mercator bin ich zutiefst dankbar, nicht nur als Partner und Förderer des Projekts Rethink: Europe, sondern auch dafür, dass sie das Thema Zusammenhalt in den Mittelpunkt ihrer europaweiten Strategie stellt. Damit hat sie den Anstoß für dieses Projekt gegeben und die Suche nach einer illustrativen Antwort auf die Frage, was Europa und seine Bürger zusammenhält. Mit der aktuellen Ausgabe des EU Cohe­sion Monitor ist es nun möglich, ein Jahrzehnt der Veränderung des Zusammenhalts der europäischen Gesellschaften zu be­werten. Unser Verständnis über diese Zusammenhänge ist Voraussetzung für die Entwicklung von Strategien, wie sich Europa zusammenhalten lässt.

Über den Autor

Josef Janning ist Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations und Leiter des Berliner Büros. Er ist Experte für europäische Politik, internationale Beziehungen sowie Außen-­ und Sicherheitspolitik und verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der akademischen Forschung, Stiftun­gen und internationalen Think Tanks. Josef Janning hat zahlreiche Publikationen zur internationalen und europä­ischen Politik sowie zur deutschen Außen­ und Europa­ politik und zu geopolitischen Fragen veröffentlicht. Er ist zu diesen Themen regelmäßig Gesprächspartner deutscher und internationaler Medien. Zu seinen jüngsten Veröffen­tlichungen für den ECFR gehören “Exploring EU Coali­tions” (herausgegeben zusammen mit Christoph Klavehn und Christel Zunneberg), “Keeping Europeans Together: Assessing the State of EU Cohesion“ und „Bear any Burden: How EU Governments Can Manage the Refugee Crisis“, mit Co­ Autorin Susi Dennison.

Eine Publikation von RETHINK EUROPE, Eine Initiative zum Zusammenhalt und der Handlungs­fähigheit Europas von ECFR, unterstützt von Stiftung Mercator.

FOOTNOTES


[1] Für eine detaillierte Analyse zur Herausforderung, den Zusammenhalt in Europa zu messen siehe: Josef Janning „Was Europa Zusammenhält“, European Council on Foreign Relations, 20. September 2016,  https://ecfr.eu/publications/summary/keeping_europeans_together7130.

[2] Für eine vertiefende Analyse zu nationalistischen und populistischen Parteien, siehe Susi Dennison und Dina Pardijs „The world according to Europe’s insurgent parties: Putin, migration and people power“, European Council on Foreign Relations, 27. Juni 2016, https://ecfr.eu/publications/summary/the_world_according_to_europes_insurgent_parties7055.

[3] “Warum in Osteuropa Brüssel das neue Moskau ist”, reformiert, 11 February 2016, http://reformiert.info/artikel/hintergrund/warum-osteuropa-br%C3%BCssel-das-neue-moskau-ist.

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.