EU-Türkei Beziehungen am Scheideweg

Die Unterstützung für den Türkei-Beitritt in der EU bröckelt. Doch es ist nicht zu spät, die Beziehungen zu kitten, schreibt Türkei-Expertin Asli Aydıntaşbaş.

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Das Europäische Parlament hat am 24. November in einer Entschließung die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission aufgefordert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorerst auf Eis zu legen. In Europa und der Türkei fehlt es in der Debatte um den EU-Beitritt strategische Tiefe und eine langfristige Vision, bemängelt Asli Aydıntaşbaş. In diesem neuen Bericht schlägt die Türkei-Expertin fünf Ansatzpunkte vor, wie die angespannte Lage überwunden werden kann.

Europa und die Türkei müssen „strategische Geduld“ an den Tag legen, um die Spannungen zu überwinden, die sich seit dem Putschversuch im Juli und der anschließenden Verhaftungs- und Entlassungswelle verstärkt haben. Beim anstehenden Europäischen Rat Mitte Dezember sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs den Beitrittsprozess der Türkei deshalb nicht formell beenden. “Europa und die Türkei müssen eine konkrete, langfristige Vision für ihre Beziehungen entwickeln, anstatt politische Drohungen auszusprechen, um zu Hause zu Punkten,“ sagt Aydıntaşbaş.

Verhandlungen über die Erweiterung der Zollunion seien ein gangbarer Weg, um weiterhin mit der Türkei zu kooperieren. Die türkische Wirtschaft unterstütze diesen Schritt; die Türkische Industrie- und Handelskammer TÜSIAD könnte hierbei zwischen EU-Kommission und der türkischen Regierung vermitteln. Das neue Abkommen sollte an politische Bedingungen geknüpft werden, um die weitere Aushöhlung der demokratischen Verhältnissein der Türkei zu stoppen. “Der Ausbau der Zollunion“, so Aydıntaşbaş, „ist der nächstliegende und praktikabelste Schritt, um die Beziehungen zu retten.“

Ein wichtiges Signal seien auch Staatsbesuche von hochrangigen Politikern, wie es Außenminister Frank-Walter Steinmeier Mitte November vorgemacht hat. Nach dem Putschversuch haben europäische Regierungen zu langsam reagiert und versäumt, sich deutlich gegen den Coup zu äußern. „Das war ein Fehler, für den es keine Entschuldigung gibt“, sagt Aydıntaşbaş. „Eine Rückkehr zum romantischen Optimismus wie zu Beginn der Beitrittsgespräche 2005 wird es nicht geben. Aber die Dialogbereitschaft muss wieder verbessert werden.“

Die Reaktion aus der Türkei war deutlich. Präsident Recep Tayyip Erdoğan drohte nach dem Parlamentsvotum mit der Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge Richtung Europa. Schon in den Monaten zuvor hatte Erdoğan immer wieder vor der Aufkündigung des im März geschlossenen Flüchtlingsabkommen gewarnt. Aydıntaşbaş glaubt jedoch nicht, dass die Türkei diesen Schritt wirklich geht. Solange die finanziellen Hilfen an die Türkei fließen, bleibe der Flüchtlingsdeal für Ankara ein wichtiger Hebel, um seine Interessen gegenüber der EU durchzusetzen, glaubt Aydıntaşbaş. In den kommenden Jahren sieht die Türkei-Experten jedoch eine neue Gruppe Flüchtlinge auf Europa zukommen: Journalisten, staatliche Bedienstete, Mitglieder der Gülen-Bewegung, Kurden und andere Minderheiten, die Asyl in der EU suchen. Dies biete weiter Anlass für Spannungen mit der Türkei.

Zeitleise EU-Türkei Beziehungen

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