Dezentralisierung statt Personalwechsel: Was Europa für einen dauerhaften Frieden in Syrien tun

Julien Barnes-Decay schreibt über die Zukunft des Syrien Konflikts

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Der syrische Präsident Bashar al-Assad wird vorerst an der Macht bleiben – das wird nach fast sechs Jahren brutalem Bürgerkrieg immer deutlicher. Dieser Tatsache müssen die europäischen Staaten ins Auge sehen und ihre Syrien-Strategie anpassen, schreibt Julien Barnes-Dacey im neuen Bericht To end a war: Europe’s role in bringing peace to Syria.   

Um den Konflikt dauerhaft zu entspannen sollte ein konkreter Ansatz der Dezentralisierung des Landes verfolgt werden, so Barnes-Dacey. Ohne einen weitgefassten politischen Rahmen werden jedoch alle Abkommen für einen Waffenstillstand scheitern.

Die Kernstrategie für den Friedensprozess skizziert Barnes-Dacey so: Die Konfliktparteien, Syriens Anrainern und die internationale Gemeinschaft erkennen die Souveränität des Assad-Regimes über das gesamte syrische Gebiet an. Im Gegenzug überträgt Damaskus Machtbefugnisse auf die lokale Ebene, einschließlich Sicherheitsvereinbarungen in den verbleibenden Oppositionsgebieten.

Der vorgeschlagene Ansatz gesteht dem Regime seine wichtigsten politischen Forderungen zu, damit Assad die „weiche“ Wiedereingliederung der von Oppositionellen kontrollierten Gebiete unter eine nominelle Zentralmacht akzeptiert. Der aktuell vom Regime als sicher geglaubte umfassende Sieg könnte schmaler ausfallen als von Assad erhofft, denn er hängt nicht zuletzt von externen Mächten ab. So könnte Assad einen ‚kleineren‘ Sieg akzeptieren.

Die Europäer sollten erkennen, dass das alternative Szenario der kontinuierliche Vormarsch der syrischen Armee mit iranischer und russischer Unterstützung ist, den niemand gewillt ist aufzuhalten und der zu noch mehr Gewalt, Tod und Vertreibung führt.

Den Deeskalationsbemühungen seitens Russland und den USA mangelt es an politischer Strategie, die die Europäer nun beisteuern können, wie der Bericht skizziert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich mit seinem neuerlichen Fokus auf Syrien und seinen Vorschlägen zur Deeskalation als europäische Führungsfigur hervorgetan.

Die europäischen Mitglieder der Internationalen Syrien-Unterstützergruppe (ISSG) – die EU, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlanden, Spanien und das Vereinigte Königreich – müssen eine längst überfällige kohärente und umsetzungsfähige europäische Position formulieren. Barnes-Dacey gibt dazu folgende Handlungsempfehlungen:

  1. Die Einführung einer sofortigen Dezentralisierungsagenda in die Verhandlungen in die ISSG. Jedes Abkommen muss direkte und uneingeschränkte humanitäre Hilfe sowie einen Zugang zu Häftlingen des Regimes garantieren.
  2. Die Europäer müssen die syrische Opposition von den Vorteilen dieses Ansatzes überzeugen. Deeskalation und lokale Autonomie sind die besten Optionen die der Opposition bleiben; vor allem, wenn Europa seine Stabilisierungsprogramme für Syrien verstärkt.
  3. Die USA müssen davon abgehalten werden, Iran im Osten Syriens zu bekämpfen. Eine von den USA geschützte Zone im Osten, zwischen feindlichen iranischen Proxys in Syrien und Irak, würde die geopolitischen Interessen im Kampf um Syrien nur verstärken.
  4. Iran muss von diesem Deeskalationsansatz überzeugt werden. Denn Teheran hat die Möglichkeit, jedes Syrien-Abkommen zunichte zu machen. Die Europäer sollten Iran daher dazu drängen, den Ansatz eines dezentralisierten Syriens als eine Win-Win Lösung zu verstehen.
  5. Ankara muss verständlich gemacht werden, dass ein dezentraler Ansatz kurdische Ambitionen einschränkt. Die Europäer sollten syrische Kurden zur Zurückhaltung drängen, um eine arabische Kontrolle über das vom Islamischen Staat (IS) befreites Raqqa zu garantieren. Die syrischen Kurden sollten keine Versuche unternehmen, ihre territorialen Einflusszonen zu verbinden.
  6. Eine Stabilisierungspartnerschaft mit der Türkei in Nordsyrien vorschlagen. Ankara lehnt externe Unterstützung in seinen Einflusszonen ab, obwohl die Lage dort immer angespannter wird.
  7. Europa sollte seine Programme zur Stabilisierung ausbauen, um in ganz Syrien grundlegende Versorgungsleistungen und institutionelle Kapazitäten wiederherzustellen und aufzubauen. Diese Programme sollten erweiterte humanitäre Hilfe enthalten und vom Regime gehaltene Gebiete miteinschließen. Das bedeutet jedoch weder eine Normalisierung der Beziehung zu Assad, noch sollte finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau Syriens gezahlt werden, solange kein endgültiges intra-syrisches Abkommen ausgehandelt ist.

Julien Barnes-Decay sagt:

„An Assads Herrschaft festzuhalten verletzt den europäischen Sinn für Gerechtigkeit. Leider haben die Europäer keine andere Wahl, wenn sie den Frieden in Syrien wiederherstellen wollen. Der hier geschilderte Ansatz ist schwierig und unsicher. Aber ohne politischen Kurs werden aktuelle Waffenruhen sicher wieder in erneute Gewalt ausbrechen.“

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.